Möhrchenprinz - Roman
mir und wir wollten gerade das Büro verlassen, um in der Kantine zwei Stücke Kuchen, einen Kakao für sie und einen Kaffee für mich zu ergattern, als die Fensterputzer das Büro betraten. Tin-Tin wusste, was das bedeutete, und begann, die Fensterbank abzuräumen. Den Kaktus, die Chilipflanzen und das Zitronenbäumchen stellte sie rechts neben dem Fenster auf den Boden, die Palme überließ sie mir, da der Topf für sie zu schwer war. Mit der Palme auf dem Arm drehte ich mich um und starrte in Thomas’ grüne Augen.
Thomas trug eine Jeans, ein dunkelblaues Polohemd mit dem Schriftzug des Reinigungsunternehmens, und hielt einen Eimer in der Hand. Er grinste mich an.
»Wie läuft die Arbeit?«, fragte er leise.
Tin-Tin beobachtete uns mit schief gelegtem Kopf.
Mir wurde heiß. Ich wurde rot. Mein Puls schlug in Notfallfrequenz.
»Was machst du denn hier?«, flüsterte ich.
»Ein Kumpel von mir arbeitet hier.« Er zeigte auf das Logo auf seiner Brust. »Hat aber jetzt Urlaub. Also bin ich eingesprungen.«
Bevor ich zu einer vernünftigen oder überhaupt einer Erwiderung ansetzen konnte, klingelte mein Telefon. Da ich mit beiden Händen die Palme trug, konnte ich den Hörernicht aufnehmen. Thomas kapierte schnell, griff nach dem Hörer und hielt ihn an mein linkes Ohr.
»Tutz.«
»Wildenroth. Bitte kommen Sie umgehend zum Juniorchef.«
»Natürlich.«
Thomas zog fragend die Augenbraue hoch, ich nickte und er legte den Hörer auf. »Immer zu Diensten«, sagte er mit einer leichten Verbeugung.
»Ich muss zu meinem Chef«, sagte ich. »Wehe, wenn du hier herumspionierst …«
Er blickte mich entrüstet an. »Was hältst du von mir?«
Ich nickte Tin-Tin zu. »Pass auf ihn auf, ja?«
Dann setzte ich die Palme auf dem Schreibtisch ab und hetzte los.
20
PS hatte mir noch eine Sonderaufgabe aufs Auge gedrückt, die zwar erst nach unserer Rückkehr wirklich dringend wurde, für die ich aber bereits einige Anfragen schreiben musste. Die Tage bis zum Abflug vergingen rasend schnell. Ich vergaß Thomas und seinen Besuch in meinem Büro, arbeitete täglich bis neun oder zehn Uhr abends und hatte deshalb die größte Mühe, Klamotten aufzutreiben, die ich für safaritauglich hielt. Nicht, weil es so etwas nicht gab, sondern weil ich zu wenig Zeit hatte. Letztlich kleidete ich mich am Samstag kurz vor Ladenschluss in einem Fachgeschäft für Outdoorbedarf vom Kopf bis zu den Füßen neu ein und bezahlte fast ein ganzes Monatsgehalt für Hosen, Blusen und Unterwäsche, die gegen übermäßige UV-Strahlen, Moskitostiche und vermutlich auch gegen die Finanzkrise helfen sollten, jedenfalls klangen die Versprechungen samt und sonders zu schön, um wahr zu sein.
Auf den Hut mit der breiten Krempe verzichtete ich, weil ich damit so dämlich aussah, dass er mir in Bezug auf meine romantischen Absichten mit PS kontraproduktiv erschien. Wie übrigens auch die Unterwäsche aus Funktionsfasern nicht ganz mit meinen Vorstellungen von verführerischen Dessous übereinstimmten. Nun, zum Abendessen – und allem, was danach kam – würde ich mich eben umziehen.Weg mit den karierten Blusen und den Hosen mit Taschen an jeder erreichbaren Stelle und rein in ein luftiges Kleid und seidige Wäsche. Bei diesen Vorstellungen wurde mir siedend heiß, allerdings nicht wegen der erotischen Vorfreude. Ich besaß ja gar keinen Koffer. Ein Blick auf die Uhr bestätigte meinen Verdacht: Samstagabend halb neun. Jetzt war es zu spät, noch einen zu kaufen.
Das rosafarbene Teil meiner Mutter, das sie in den späten Achtzigern im Angebot erstanden hatte, würde ich keinesfalls mitnehmen.
Daniel musste mir helfen.
»Ich soll dir einen Koffer für eine Flugreise leihen? Weißt du eigentlich, wie schädlich das Fliegen für das Klima ist?«
»Es ist mein Job und …«
»Diese billige Ausrede zählt nicht, wenn es um die Existenz der Menschheit geht.«
Er stand mit verschränkten Armen in der Küche vor mir und plusterte sich sichtlich amüsiert auf.
»Wenn ich mir jetzt noch einen Koffer kaufe, ist die Wirkung auf die Umwelt deutlich schlechter, als wenn du mir deinen leihst«, argumentierte ich. »Du sagst doch selbst: nutzen statt besitzen.«
»Da hat sie recht«, mischte Thomas sich ein. Er betrat die Küche hinter mir und stellte Einkaufstüten auf dem Küchentisch ab. Seit seinem Auftritt als Fensterputzer vier Tage zuvor hatte ich ihn nicht mehr gesehen, aber er grinste mich freundlich an. Keine Spur von schlechtem Gewissen. Ich hoffte
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