Mönchsgesang
der Stube, der erst jetzt im einfallenden Tageslicht zum Vorschein kam. »Eine Jungfrau, die sich in einen Holzklotz verwandelt hat?«
Mathäus schüttelte den Kopf. »Andersrum, Vater. Der Holzklotz ist im Begriff, eine Jungfrau zu werden.«
»Tatsächlich?«
»Und zwar die Jungfrau Maria. Auf ihrem Schoß wird bald das Jesuskind sitzen.«
Dreyling runzelte die Stirn. Sein skeptischer Blick blieb auf dem Lindenklotz haften. »Ich hoffe nur, dass die Gottesmutter und ihr Sohn dir das da nicht übel nehmen werden am Tag des Jüngsten Gerichts.«
Mathäus nagte an seiner Unterlippe.
»Und für wen soll sie sein, die Jungfrau mit dem Kinde?«
»Für Jutta.«
»Wer zum Teufel ist Jutta?«
»Jutta ist meine Gefährtin, Vater.«
»Ach ja, richtig. Die … Bauernmaid.«
Mathäus' Faust fuhr krachend auf den Tisch, so dass Dreyling erschrocken zusammenfuhr. »Verdammt, Vater!«, brüllte er. »Erspare mir endlich deine unsäglichen Kommentare. Gibt es eigentlich noch Dinge auf dieser Welt, die du respektieren kannst?«
Dreyling schnappte nach Luft. »Was erlaubst du dir, so mit mir …«
»Nein, jetzt rede ich«, fiel der Sohn ihm brüsk ins Wort. »Das hier ist mein Leben. Du kommst hierher, hast an allem und jedem etwas auszusetzen und glaubst, ich würde sofort wieder nach deiner bigotten Pfeife tanzen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dies im Sinne meiner Mutter wäre …«
Der Alte senkte den Blick. Seine Finger krampften sich ineinander.
»Ich liebe und verehre dich, Vater«, fuhr Mathäus nun ruhiger fort, »aber lass mich mein Leben leben, und lass mir meine Welt, in der ich mich zurechtfinde.«
»Vielleicht weißt du ja gar nicht, was gut für dich ist, mein Sohn«, antwortete Dreyling nach einer Weile des Schweigens. »Vielleicht brauchst du deinen Vater mit seiner großen Lebenserfahrung, der dir sagt, wo's langgeht.«
»Das lass mich bitte selbst herausfinden.«
»War ich es nicht, der dich damals gedrängt hat, aus der Garde auszutreten und stattdessen eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen?«
»Ich muss zugeben …«
»Und hast du diesen Schritt jemals bereut?«
Ein lautes Klopfen an der Tür enthob den Sohn einer Antwort.
»Wer pocht denn da wie ein Berserker?«, brummte Dreyling missmutig.
»Herein!«, rief Mathäus.
In die Stube trat ein junger Mann mit roten Locken und einem flaumbärtigen Gesicht. Er schien die angespannte Atmosphäre zwischen den beiden Männern vor sich zu spüren und zupfte betreten an den Knöpfen seiner Jacke. »Das ist Dietrich, Diener auf Burg Merode, mein bevorzugter Bote und mit Gewissheit der schnellste Reiter zwischen Köln und Aachen«, bemerkte Mathäus zu seinem Vater, der gelangweilt sein Brot in die Milch tunkte. »Dietrich, was führt dich her zu mir?«
»Herr, ein Mönch vom Kloster Schwarzenbroich ist zu Besuch bei Herrn Rikalt und Herrn Paulus.«
»Na und?«
»Man hat mich nach Euch geschickt. Eure Anwesenheit wird dringend erwünscht.«
»Dieser Spruch kommt mir äußerst bekannt vor«, murrte Mathäus. »Worum geht's denn diesmal?«
Der Diener hob die Schultern.
Mathäus erhob sich ächzend von seinem Hocker und warf seinem Vater einen entschuldigenden Blick zu. »Bin gleich wieder da, Vater.« Zusammen mit Dietrich verließ er das Haus. Draußen atmete er dreimal tief durch.
»Und? Geht's dir gut, Freund?«, fragte er den Diener.
»Ja, Herr. Bestens.« Dietrich strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
»Bestens? Das hört sich gut an. Bist du etwa verliebt?« Dietrich rieb sich verlegen die Nasenspitze. Mathäus wusste, dass er mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte.
»Das freut mich für dich. Ist es eine der Mägde von der Burg?«
Der Diener nickte nur.
»Wie heißt sie?«
»Roswitha, Herr.«
Dreyling indessen, zurückgeblieben in der Stube, zerbröselte gedankenverloren ein Stück Brot und starrte auf den seltsamen Lindenklotz.
Drei Augenpaare richteten sich auf den Dorfherrn, als dieser den Saal betrat. Paulus kratzte seinen gewaltigen Schädel, als wolle er auf diese Weise sein hässlich vernarbtes rechtes Ohr verbergen. Sein Blick versprühte – wie meistens – blanken Spott. Der Burgvogt und der Dorfherr waren einander zugetan wie Katze und Hund, und beide machten auch kein Geheimnis daraus.
Rikalt dagegen, der junge Herr von Merode – oder besser gesagt: einer der beiden Herren von Merode – schenkte Mathäus ein warmes Lächeln. Er hatte erst ein Lebensjahrzehnt hinter sich gebracht;
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