Mönchsgesang
Hintern.«
»Vielleicht ist Julius wirklich ein komisches Pferd. Nichtsdestotrotz, es ist mein Pferd, und ich mag es so, wie es ist. Kannst du das verstehen, Vater?«
Schwungvoll hievte er sich in den Sattel.
»Nun spiel mal nicht wieder gleich den Beleidigten!«
»Ich bin nicht beleidigt.« Mathäus schnalzte mit der Zunge und ritt auf die Straße.
Dreyling hatte die Hände in seinen Hosentaschen vergraben und folgte seinem Sohn ein paar Schritte. »Wann, sagtest du, kommst du zurück? Heute Nachmittag?«
»Ich weiß es noch nicht. Vielleicht auch erst morgen. Kommt ganz darauf an.«
»Worauf an?«
Mathäus verdrehte die Augen und trieb seinen Gaul an. »Bis später, Vater«, rief er über seine Schulter.
Dreyling starrte ihm traurig hinterher. »Bis später, Junge«, sagte er tonlos.
4
M athäus unterdrückte einen Seufzer, als er sah, dass Bruder Walraf den Weg nach Merode mit einem alten Maultier angetreten hatte. Das Fell des Tieres hing in traurigen Fetzen von seinem dürren Rumpf, als wäre es mit zerlumpten grauen Tüchern geschmückt. Seine nur halb geöffneten Augenlider vermittelten den Eindruck unbezwingbarer Müdigkeit.
»Dieser Ritt kann ja ewig dauern«, flüsterte der Dorfherr dem Kastellan Friedrich zu.
»Keine Sorge«, erwiderte dieser grinsend, »wenn Ihr in zwei Wochen nicht zurück seid, wird Paulus sicher nach Euch suchen lassen.«
»Gut. Er braucht ja dann nur den grauen Haarbüscheln zu folgen.«
Inzwischen hatte Bruder Walraf sein Reittier umständlich bestiegen. Akribisch zupfte er an den Falten seiner Kutte herum. Ein ohrenbetäubendes I-AAA schallte über den Burghof, so dass Mathäus und Friedrich, die dem Maultier solcherlei Kundgebungen niemals zugetraut hätten, zusammenzuckten.
»Ich wäre damit so weit«, verkündete Bruder Walraf mit seiner monotonen Stimme und nickte dem Dorfherrn zu. »Ihr hättet Euch in der Küche besser mit Wegzehrung eingedeckt, Herr Mathäus«, flüsterte der Kastellan, bevor der Dorfherr sich murrend auf seinen Gaul hievte und den Burghof an der Seite des Mönches verließ.
Am Hahndorn, dem Dorfanger, begegneten ihnen ein paar Bauern und Knechte, die sich wenig Mühe gaben, ihre Belustigung über das seltsame Reiterpaar zu verbergen.
»Habt Ihr eigentlich nichts Besseres zu tun?«, zischte Mathäus ihnen zu.
Als sie endlich den Waldrand erreichten, wurde Mathäus bewusst, dass Walraf während des Rittes noch kein einziges Wort gesprochen hatte. Also versuchte er den Mönch in eine belanglose Unterhaltung zu verwickeln, doch da dieser stets einsilbige Antworten von sich gab, gab er sein Unterfangen schließlich auf. Ohnehin wurde der Weg nun enger, so dass Mathäus seinen Gaul hinter Bruder Walrafs Maultier lenken musste. Tief durchatmend betrachtete er die sich entlaubenden Bäume, deren Äste von einem frühherbstlichen Wind erfasst waren und behaglich raschelten. Ein paar Wolkenbänder am Himmel verdeckten die Sonne; möglicherweise würde es heute noch Regen geben. Mathäus hoffte inständig, bis dahin das Kloster der Kreuzherren erreicht zu haben. Gedankenverloren strich er durch sein kastanienbraunes Haar. Er musste an die beiden Mädchen denken, die in diesem Wald vor einigen Wochen ein grausames Ende gefunden hatten. Wie verwirrend die ganze Geschichte gewesen war! Aber zum Glück war Heinrich bei ihm gewesen. Mit seinem beneidenswerten Scharfsinn und seinen phänomenalen Kenntnissen über die Abgründe der menschlichen Seele hatte er wesentlich dazu beigetragen, die Rätsel zu lösen und die Täter zu entlarven. Was hätte er bloß ohne ihn gemacht? Ein heftiger Satz seines Pferdes riss den Dorfherrn aus seinen Grübeleien. Wieder erschallte jenes unsägliche I-AAA, lauter noch als zuvor im Burghof, so dass es in den Ohren zu schmerzen begann. Mathäus brauchte eine kleine Weile bis er begriff, was geschehen war: Julius hatte es sich nicht nehmen lassen, einen passenden Augenblick abzuwarten, um dem alten Maultier, das dort auf wackligen Beinen vor ihm hertrottete, in den Hintern zu beißen. Das Gebrüll des gepeinigten Tieres scheuchte ganze Schwärme von Vögeln aus den Gipfeln der Bäume. Irgendwo im Unterholz hörte man weitere Waldgeschöpfe eiligst flüchten.
»Herrgott, könnt Ihr denn auf Euren Gaul nicht aufpassen?« Zum ersten Mal zeigte Bruder Walraf so etwas wie eine Gemütsregung. Die Augen in seinem echsenartigen Gesicht funkelten erbost. Nur mit Mühe hielt er sich im Sattel, und Mathäus befürchtete, das immer
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