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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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schnellen Seitenblick auf seinen Begleiter, »… es ging so.«
    »Bene.« Der Prior machte eine ausholende Handbewegung. »Und? Wie gefällt Euch unser bescheidenes Kloster?«
    »Ich bin mir sicher, dass es unserem Schöpfer gefällt.«
    Anselm lachte. »Eine gute Antwort, Herr Mathäus. Aber lasst Euch gesagt sein, dass wir noch große Pläne haben. Wir sind ein noch sehr junger Konvent.«
    »Sicher.«
    Der Prior deutete mit dem Zeigefinger in verschiedene Richtungen. »Dort soll einst eine Herberge für durchreisende Pilger stehen. Und dort ein Backhaus. Die Baracken für die Knechte und Laienbrüder sollen natürlich durch solide Steinbauten ersetzt werden. Und die Mauer wird im nächsten Frühjahr fertig gestellt sein, damit das schmucke Portal auch einen Sinn erfährt.«
    Mathäus lächelte. »Wirklich? Hoffentlich behält Euer Kloster dann noch seinen Liebreiz.«
    Der Prior ergriff seinen Arm. »Wollt Ihr mit uns essen?«
    »Danke, Pater, aber …«
    »Es gibt kein Aber. Oder wollt Ihr uns beleidigen?«
    »Natürlich nicht.«
    »Bene. So lasst mich folgenden Vorschlag machen.« Mathäus merkte, wie der andere versuchte, seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu verleihen. »Wir erledigen zuerst das Dienstliche. Ihr müsst Euch die sterbliche Hülle unseres Mitbruders Adam ansehen, der in dieser Nacht zu Gott heimgekehrt ist. Anschließend begleitet Ihr mich ins Refektorium.«
    Er führte ihn in das zweigeschossige Hauptgebäude. Der Flur war karg und ohne Pracht, doch die Wände weiß gekalkt und der Boden sauber. Sie stiegen eine steinerne Wendeltreppe empor.
    »Contra vim mortis non est medicamem in hortis«, seufzte der Prior.
    »Wie?«
    »Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen.«
    »Ach so.«
    »Aber Bruder Adam, unser Sakristan, hat ein hohes Alter erreicht. Er wäre im nächsten Monat achtzig geworden.«
    »Wo wir einmal darüber sprechen, Pater, um ehrlich zu sein, erscheint es mir recht seltsam, dass Ihr …«
    »Ich weiß, ich weiß!« Sie hatten das obere Geschoss erreicht und waren vor der hölzernen Tür einer Zelle stehen geblieben. »Ich weiß, was Ihr sagen wollt«, erwiderte der Prior und holte tief Luft. »Es ist die natürlichste Sache der Welt, dass Gott seine Geschöpfe zu sich heimruft, vor allem wenn sie Bruder Adams Alter erreicht haben. Aber …« Er rieb seine Hände und mied plötzlich den Blick des Dorfherrn. »Aber in der kommenden Woche wird der Generalprior unseres Ordens diesem Konvent seinen alljährlichen Besuch abstatten. Ich möchte nicht, dass, äh …«
    »Dass was, Pater?«
    »Na ja, dass dem Generalprior irgendwelche abergläubischen Gerüchte zu Ohren kommen.«
    Nun war es an Mathäus, tief durchzuatmen. »Pater Prior«, sprach er langsam, »wenn Ihr wollt, dass ich Euch helfe, dürft Ihr mich nicht mit seltsamen Andeutungen abfertigen. Ihr müsst mir schon sagen, was Euch wirklich bedrückt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Tod eines achtzigjährigen Mannes Anlass für Gerüchte irgendwelcher Art geben könnte. Also: Was hat es auf sich mit Bruder Adams Tod? Und warum ist Euch bei dem Gedanken der Visite Eures Generalpriors so unwohl?«
    Anselm hatte während Mathäus' Rede ständig genickt. Nun suchte er wieder seinen Blick. Seine unruhigen Hände verschwanden in den Ärmeln seiner Kutte. »Ihr habt Recht«, seufzte er, »Ihr habt tausendmal Recht, und ich schulde Euch eine Erklärung.« Er warf einen schnellen Blick über den Flur, um sich zu vergewissern, dass niemand ihrem Gespräch lauschte. »Nun«, begann er leise, »Bruder Adam scheint seinen Tod vorausgesehen zu haben.«
    »Und? Findet Ihr es seltsam, wenn ein Greis seinen Tod nahen spürt?«
    Der Prior schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht«, entgegnete er. »Ihr müsst wissen, dass sich Bruder Adam bester Gesundheit erfreute. Sicher, die Gebrechen des Alters machten auch vor ihm nicht Halt, aber …« Er suchte nach Worten und blickte erneut den Flur hinab. »Nun, um es kurz zu machen: Bruder Adam hat einem Mitbruder berichtet, er habe auf seinem Betstuhl in der Klosterkirche eine weiße Lilie gefunden.«
    »Eine weiße Lilie?«
    »Es gibt in unserem und auch in anderen Orden eine uralte Legende. Wer eine weiße Lilie auf seinem Platz in der Kirche findet, ist dem Tode nahe. Er wird innerhalb von drei Tagen unsere irdische Welt verlassen. Die weiße Lilie ist eine Botschaft aus dem Jenseits!«
    »Und Bruder Adam behauptete, eine solche Lilie habe auf seinem Platz

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