Mönchsgesang
nicht …«
»Bitte öffnet seine Truhe, Pater.«
Der Mönch zuckte die Achseln und kam der Bitte des Dorfherrn nach. Quietschend hob sich der Deckel. »Bei der Heiligen Jungfrau!« Anselm schlug ein hastiges Kreuzzeichen. Zwischen ein paar Kleidungsstücken und ein paar Schriftrollen lag in der Tat das vertrocknete Exemplar einer weißen Lilie. »Credo, quia absurdum!«, hauchte er.
»Wie?«
»Ich glaube es, weil es widersinnig ist!«
»Nun, ich weiß nicht, ob das Ganze widersinnig ist. Hinter jedem Rätsel steckt auch eine Lösung, Pater Prior. Und ich gedenke, dieses Rätsel zu lösen. Ihr gestattet, dass ich mir die Habseligkeiten in seiner Truhe anschaue?«
Anselm nickte seufzend. »Ein Mörder in meiner Priorei«, schluchzte er, »der Generalprior wird entsetzt sein.« Mathäus empfand langsam etwas wie Mitleid für den Mönch und machte ein paar tröstende Bemerkungen, während er einen Blick in die Schriftrollen warf. Es handelte sich um Abschriften theologischer Abhandlungen der alten Kirchenväter.
»Bruder Adam liebte Bücher über alles«, erklärte der Prior mit müder Stimme. »Die meisten von uns sind vor neun Jahren, als Werner von Merode dieses Kloster gründete, von unserem Konvent in Lüttich hierher gekommen. Natürlich war es uns nicht möglich, die gesamte Klosterbibliothek mitzunehmen, deshalb hatte Bruder Adam eigenhändig ein paar Abschriften seiner Lieblingsbücher gemacht.«
Mathäus nickte. »Er scheint ein großer Verehrer des Augustinus gewesen zu sein.«
»Augustinus, Boethius, Thomas von Aquin – er las sie alle.«
»Habt Ihr denn inzwischen eine eigene Bibliothek in Eurem Konvent?«
»Sicher. Sie ist natürlich nicht zu vergleichen mit der in Lüttich oder Wenau. Aber ich hoffe, in den kommenden Jahren ein paar Schreiber als Mitbrüder gewinnen zu können.«
»Bruder Adam war der Sakristan dieses Konvents?«
Der Prior nickte.
»Verzeiht meine Neugier, Pater Prior, aber wenn Bruder Adam die Bücher so liebte – warum war nicht er der Bibliothekar?«
»Ich verstehe Eure Frage. Und Bruder Adam war bis vor einem Jahr tatsächlich unser Bibliothekar.« Er gab einen Seufzer aus tiefster Brust von sich. »Aber sein Augenlicht wurde in der dunklen Bibliothek immer schlechter. Ich glaubte, ihm einen Gefallen zu tun, als ich ihn durch Bruder Theodor ersetzte und ihm eine neue Aufgabe zudachte.« Er schüttelte den Kopf. »Schon bald aber merkte ich, dass er darunter litt, nicht mehr bei seinen Büchern zu sein. Ich hätte es nicht machen sollen …«
Mathäus berührte sanft seine Schulter. »Macht Euch keine Vorwürfe, Pater. Ich bin überzeugt, Bruder Adam verstand, dass Ihr nur zu seinem Besten entschieden hattet.«
»Hominides id quod volunt credunt!«, sagte der Prior traurig.
»Wie?«
»Die Menschen glauben gern, was sie sich wünschen!«
»Ach so. Nun, wie auch immer. Am besten lasst Ihr nun die sterblichen Überreste Eures Mitbruders von hier fortschaffen.«
Der Prior nickte. »Werdet Ihr trotzdem das Mahl mit uns einnehmen?«, fragte er. »Natürlich gilt meine Einladung nach wie vor, trotz Eurer schockierenden Behauptungen – Erkenntnisse«, korrigierte er sich, als er einen unwilligen Blick des Dorfherrn erntete.
»Ja, Pater Prior, ich werde mit Euch essen. Aber anschließend werde ich hier vielen ein paar Fragen stellen müssen.«
Der Prior hatte dem Dorfherrn einen Platz außerhalb der Tafel, an der die Mönche speisten, zugewiesen. Nachdem eine helle Glocke durch das Klostergebäude ertönt war, kehrten die Mönche nacheinander ein und blieben mit gesenktem Kopf und verschränkten Armen vor ihren Plätzen stehen. Erst als der Prior seine Kapuze herunterstreifte, taten die Mönche es ihm gleich. Anselm sprach ein feierliches Gebet in lateinischer Sprache, das mit einem allgemeinen »Amen« beendet wurde. Die Mönche warteten nun auf die Aufforderung ihres Priors, Platz zu nehmen, doch Anselm räusperte sich laut, so dass er überraschte Blicke auf sich vereinte.
»Brüder in Christo«, begann er, »wisset, dass wir heute einen Gast in unseren Reihen begrüßen dürfen.« Er deutete auf Mathäus, der ebenfalls mit gefalteten Händen vor seinem kleinen Tischchen in der äußersten Ecke des Refektoriums stand. Mathäus wusste, dass dieses Abseits keine Herabwürdigung bedeutete, sondern vielmehr den Ordensregeln der Kreuzherren entsprach. Alle Blicke richteten sich nun auf ihn.
»Unser Gast«, fuhr der Prior fort, »ist Mathäus, der Dorfherr von
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