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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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machte ein paar belanglose Bemerkungen über das Wetter und die diesjährige Ernte, um die plötzliche Stille zu überbrücken, die ihm wohl unheimlich erschien. Manchmal antwortete Mathäus einsilbig, ließ sich aber ansonsten nicht von seiner Arbeit abhalten. Schließlich erhob sich der Dorfherr und gab dem Prior durch einen kehligen Laut zu verstehen, dass er seine Leichenbeschauung beendet hatte.
    Anselm drehte sich um und nagte an seiner Lippe. »Ihr seid fertig? Bene, dann lasst uns nun ins Refektorium gehen. Ich hoffe, dass Euch der Appetit nicht vergangen ist. Die Bescheinigung hat noch Zeit bis später.«
    Mathäus schüttelte bedauernd den Kopf. Er warf dem Prior einen durchdringenden Blick zu. »Ich fürchte, so einfach ist es nicht, Pater.«
    »Wie?«
    »Nun«, Mathäus runzelte die Stirn und schien seine Worte im Geiste abzuwägen, »ich gehe davon aus, dass Bruder Adam eines gewaltsamen Todes gestorben ist.«

5
    D er Prior schnappte nach Luft. »Was sagt Ihr da?«, flüsterte er.
    »Ich glaube, dass Bruder Adam eines gewaltsamen Todes starb«, wiederholte Mathäus.
    »Bei allen Heiligen, wie kommt Ihr zu solcherlei Behauptungen?« Die Stimme des Priors schien zu zittern.
    Der Dorfherr winkte ihn zu sich heran. Nochmals beugte er sich über den toten Klosterbruder und öffnete mit einem geübten Handgriff seinen Mund. »Was seht Ihr dort auf seiner Zunge?«, fragte er leise.
    Der Prior folgte widerwillig seinem Blick. Der süßliche Geruch der Leiche kroch unerbittlich in seine Nase. Für einen Augenblick hielt er die Luft an.
    »Also: Was seht Ihr dort, Pater?«
    Anselm wandte sich wieder ab. Sein Gesicht war fast so bleich wie das seines toten Mitbruders. »Eine Art Stofffetzen«, erklärte er schließlich.
    »Richtig! Ein Stofffetzen. Außerdem ein winziger Strohrest, mitten auf seiner Zunge. Wisst Ihr, was das bedeutet?«
    Der Mönch schüttelte stumm den Kopf.
    »Das bedeutet, dass Bruder Adam erstickt wurde. Und zwar …«, mit einer vorsichtigen Bewegung zog er das Kissen unter dem Kopf des Toten hervor, »… mit seinem Kopfkissen.«
    Der Prior schien in Lethargie versunken. »Mit seinem Kopfkissen?«, fragte er schließlich tonlos.
    »Ja, seht her.« Er präsentierte dem Mönch einen deutlichen Riss in dem grauen, sackartigen Überzug, unter dem die Strohfüllung zum Vorschein kam. »Jemand hat Bruder Adam dieses Kissen gewaltsam aufs Gesicht gedrückt, um ihm das Leben zu nehmen. Im Bewusstsein des nahenden Todes hat Bruder Adam in das Kissen gebissen.«
    Der Prior versuchte sich zu sammeln. Die Behauptung des Meroder Dorfherrn hatte ihn wie ein Schwerthieb getroffen. Genau das, was dieser Beamte eigentlich hatte abwenden sollen, war nun eingetreten. Schlimmer noch. Er hatte doch nur bescheinigen sollen, dass keine höllischen Mächte in diesem Kloster am Werk waren. Und nun war von Mord die Rede. Er hatte nach Beelzebub gerufen, um Satan auszutreiben. Worauf hatte er sich da bloß eingelassen?
    »Werter Dorfherr. Wie Ihr bereits selbst bemerkt habt, ist der Tod eines alten Mannes nichts Besonderes. Glaubt Ihr nicht, dass eine Welle heftigsten Schmerzes durch seinen Körper rollte, bevor der Tod über ihn kam? Und dass er in Anbetracht des Todeskampfes verzweifelt in sein Kissen biss?«
    Mathäus schüttelte den Kopf. »Seht Euch sein Bett an: Es sieht nicht danach aus, als hätte er sich in einer Art Todeskampf darauf herumgewälzt. Außerdem lag er mit seinem Hinterkopf auf dem Kissen.«
    »Aber wenn ihn jemand umgebracht hätte – warum hat er sich dann nicht gewehrt? Wie Ihr bereits gesagt habt, sieht sein Bett relativ unbenutzt aus, was ich übrigens nicht ungewöhnlich finde. Bruder Adam brauchte nicht viel Schlaf.«
    »Eine gute Frage, Pater Prior, auf die es zwei Antworten gibt.« Mathäus stützte sein Kinn und blickte nachdenklich auf den Toten. »Entweder Bruder Adam hat sich tatsächlich gewehrt, und der Mörder hat anschließend das Betttuch wieder geglättet und sein Opfer in diese Position gebracht, oder …«
    »Oder was, Dorfherr?«
    »Oder Bruder Adam hat seinen Tod erwartet und sich gar nicht erst dagegen gewehrt.«
    »Warum hätte er das tun sollen?«
    »Wegen der weißen Lilie!«
    Die Kinnlade des Priors fiel nach unten. »Das Ganze ist eine Legende«, stammelte er, »wer weiß denn, ob Bruder Adam nicht etwas zusammengesponnen hat?«
    »Habt Ihr die Lilie gefunden, von der Euer Mitbruder sprach?«
    »Warum hätten wir danach suchen sollen? Wir wussten ja

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