Mönchsgesang
noch jammernde Maultier könnte jeden Moment in die Knie sacken.
»Das … das tut mir Leid«, versicherte Mathäus hilflos, doch seine Worte gingen unter zwischen markerweichenden IIIs und AAAs. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis das Maultier sich halbwegs beruhigt hatte.
Nochmals versicherte Mathäus dem Mönch sein Bedauern über den Vorfall, während Julius gelangweilt zur Seite blickte, als habe er mit dieser Angelegenheit nicht das Geringste zu tun. Walraf murrte etwas Unverständliches vor sich hin, tätschelte den Hals des nunmehr keuchenden Tieres und setzte seinen Ritt mehr schlecht als recht fort. Nach einer Weile passierten sie einen großen Gedenkstein am Wegesrand, auf dem unter dem Zeichen eines Kreuzes ein paar lateinische Sätze eingemeißelt waren. Mathäus wusste: Hier war angeblich vor Jahren der Apostel Matthias dem Herrn Werner von Merode bei der Jagd erschienen und hatte ihn mit der Gründung eines Klosters beauftragt. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Dorfherrn. Ob Rikalts Großvater – bei aller Wertschätzung, die er auch fast zehn Jahre nach seinem Tod bei den Bewohnern der Herrschaft noch immer genoss – ob er nicht ein wenig zu sehr mit seinen Verbindungen zu den Himmlischen kokettiert hatte? Jedenfalls hatte Werner schon kurz darauf die Gründung des Klosters Schwarzenbroich in Angriff genommen – unweit der Stelle, an der der Heilige ihn aufgesucht hatte.
Sie erreichten eine Lichtung, auf der die Gebäude des Kreuzherrenklosters endlich sichtbar wurden. Mathäus sah das Kloster während seiner Amtszeit als Dorfherr von Merode zum ersten Mal, und eigentlich hatte er sich den Komplex wesentlich größer vorgestellt. Ein paar Gebäude, errichtet aus Bruchsteinen, wurden überragt von dem spitzen Turm der Klosterkirche, der sich wie ein mahnender Finger gen Himmel streckte. Weiterhin ein paar hölzerne Schuppen und Baracken sowie eine noch längst nicht vollendete Mauer, die eines Tages wohl alles umschließen sollte. Auf einer Weide jenseits des Hauptgebäudes weideten Schafe, die von zwei Laienbrüdern beaufsichtigt wurden. Ein weiterer Laienbruder öffnete das Tor zum Klosterhof, denn er hatte die Ankömmlinge bereits kommen sehen. Mathäus betrachtete das imposante Ordenskreuz und die wunderschöne plastische Darstellung des Apostels Matthias, die ein ihm unbekannter Künstler in die beiden Flügel des Portals geschnitzt hatte. Er musste an sein eigenes Kunstwerk denken, die Jungfrau mit dem Jesuskind. Seufzend gestand er sich ein, dass es offensichtlich begnadetere Künstler gab als ihn selbst. Trotz seiner künstlerischen Pracht wirkten das Portal und der steinerne Torbogen angesichts der unfertigen Mauer, die sich bislang an nur einer Seite anschloss, überflüssig. Der Pförtner schien sich der Unsinnigkeit seines Tuns bewusst zu sein; verlegen senkte er den Kopf, als Walraf und Mathäus in den Klosterhof ritten. Erst jetzt bemerkte der Dorfherr zu seiner Rechten die verkohlten Reste einer Scheune, weitab vom Hauptgebäude und jenseits der Ställe. Und als habe seine Nase den visuellen Eindruck erst abgewartet, nahm er auch jetzt den faden Geruch erkalteter Asche wahr.
»Es hat hier gebrannt, Bruder Walraf?«, fragte Mathäus und erntete ein stummes Nicken.
Inzwischen war aus einer Tür des Hauptgebäudes eine Gestalt getreten, die sich den Ankömmlingen, ein paar aufgeregte Hühner beiseite scheuchend, mit eiligen Schritten näherte. Walraf und Mathäus stiegen von ihren Reittieren, die von einem jungen Stallburschen in Empfang genommen wurden. Der Dorfherr wollte ihm noch eine Warnung zukommen lassen ob der seltsamen Gepflogenheiten seines Gauls, doch die Gestalt hatte sie bereits erreicht und stellte sich vor.
»Ich bin Anselm, der Prior dieses Konvents. Seid willkommen, Herr Mathäus.« Eine kräftige Hand schüttelte die des Dorfherrn. Der Prior streifte seine Kapuze vom Haupt und sah Mathäus forschend in die Augen. Der erwiderte seinen Blick mit einem höflichen Lächeln. Er erfühlte eine Portion Skepsis – oder war es Misstrauen? – in den Augen des Mönches. Trotzdem war es nicht so, dass der Prior ihm auf Anhieb unsympathisch erschienen wäre. Er mochte in seines Vaters Alter sein, trug auch den gleichen grauen Bart, wenngleich die Konturen seines Gesichts runder und sanfter wirkten. Sein Händedruck war ehrlich und fest.
»Ich hoffe, Ihr und Bruder Walraf hattet einen guten Ritt.«
»Danke, Pater Prior, es …«, Mathäus warf einen
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