Mönchsgesang
gelegen?«
Der Prior nickte. »Und wie Ihr Euch vielleicht denken könnt, hat Bruder Adams Behauptung für eine gewisse spirituelle Unruhe unter meinen Mitbrüdern gesorgt. Legenden sind eine Sache, wenn sich aber Legenden plötzlich als Wahrheit entpuppen, ist man versucht, den Teufel mit ins Spiel zu bringen. Denn bei allem Glauben an göttliche Zeichen und Wunder: Niemand kennt den Tag noch die Stunde!« Er sah den Dorfherrn flehend an. »Was ich von Euch erbitte, ist eine Bescheinigung. Eine Bescheinigung, dass Bruder Adam eines natürlichen Todes starb.«
»Ich bin kein Medicus, Pater.«
Anselm winkte ab. »Der Generalprior hasst die Quacksalber wie der Teufel das Weihwasser, müsst Ihr wissen. Einer von diesen Kerlen hat vor etlichen Jahren versucht, sein gebrochenes Bein zu schienen. Seitdem lebt er in ständiger Angst, dass man ihn selbst für den Leibhaftigen halten könnte, weil er in ähnlicher Weise hinkt wie der Fürst der Hölle. Nein, wenn Ihr mir diese Bescheinigung ausstellt, wird der Generalprior zufrieden sein.«
»Und woher weiß ich, dass der Teufel nicht tatsächlich seine Klauen im Spiel hat?«
Der Prior schüttelte lachend den Kopf. »Macht mir nichts vor, Herr Mathäus. Ich weiß, welch kluger Kopf Ihr seid. Oder glaubt Ihr, die Kunde von der Entlarvung der Mädchenmörder und falschen Dämonen sei nicht bis zu uns in den Wald gedrungen?«
Mathäus zupfte verlegen an seiner Nasenspitze. »Es war nicht mein alleiniges Verdienst, dass die Mörder entlarvt werden konnten«, sagte er.
»Sapere aude!«
»Wie?«
»Wage es, weise zu sein! Eure Bescheidenheit ehrt Euch. Und ich bitte Euch inständig um diese Bescheinigung. Ich möchte bei der Visite des Generalpriors gegen alle Eventualitäten gewappnet sein.«
»Gut.« Mathäus spreizte die Hände. »Dann lasst mich die Leiche sehen.«
»Sicher. Bruder Adam liegt noch auf seinem Bett, so, wie wir ihn heute Morgen gefunden haben.« Ehrfürchtig öffnete er die Tür der Zelle, vor der sie standen. Mathäus glaubte sofort den bitteren Geruch des Todes wahrzunehmen. Sie traten ein.
Auf dem Tisch in der Mitte der Zelle flackerte eine Totenkerze. Bruder Adam lag auf seinem Bett, bekleidet mit seiner Kutte, die Hände gefaltet, die Augen geschlossen. Sein starres, bleiches Gesicht war eine Maske des Friedens, fand Mathäus. Der Mönch schien mit sich und der Welt im Reinen gewesen zu sein, als seine Seele den Körper verließ.
»Ihr habt ihn so gefunden?«
»Ja.«
»Niemand hat ihm also die Augen geschlossen und seine Hände gefaltet?«
»Nein. Er lag so da.«
»Sieht nicht so aus, als hätte der Tod ihn überrascht.«
»Non mortem timemus, sed cogitationem mortis!«
»Wie?«
»Nicht den Tod fürchten wir, sondern die Vorstellung des Todes!«
»Ach so.«
»Jedenfalls bin ich froh, dass Ihr die Sache auf Anhieb richtig einzuschätzen wisst. Aber ich hatte auch nichts anderes von Euch erwartet. Gott möge unserem Mitbruder die ewige Ruhe schenken.« Er schlug ein Kreuzzeichen und murmelte ein kurzes Gebet in Richtung des Toten. Dann sah er den Dorfherrn erwartungsvoll an. »Ihr werdet mir also diese Bescheinigung ausstellen?«
Mathäus nickte. »Sicher. Alles eine Formsache. Ich muss nur den Leichnam Eures Mitbruders kurz inspizieren.«
Der Prior lächelte verkrampft. »Muss das sein?« Er breitete fragend seine Arme aus und deutete auf die Leiche, als würde ihr Anblick jede weitere Frage erübrigen. »Muss das wirklich sein?«, fragte er erneut, und in seiner Stimme schwang erstmals eine Spur von Verärgerung mit. Oder war es Furcht?
»Pater Prior, wäre ich nicht ein schlechter Beamter, wenn ich Bescheinigungen ausstellen würde, ohne den Sachverhalt vorher selbst zu prüfen? Auch wenn es sich um Dinge handelt, die eindeutig erscheinen, gehe ich sie pragmatisch an. Ihr habt mich rufen lassen, nun lasst mich meine Arbeit tun.«
Der Mönch hob beschwichtigend die Hände. »Ihr habt natürlich völlig Recht, Herr Mathäus. Entschuldigt meine Ungeduld. Aber mir ist daran gelegen, dass auch Adams sterbliche Hülle endlich ihren Frieden findet. Bedenkt, dass er schon seit vielen Stunden tot hier liegt.«
»Ich werde mich beeilen«, versprach Mathäus und beugte sich über den Toten. Die Leichenstarre hatte längst eingesetzt. Der Dorfherr verscheuchte ein paar Fliegen, die den toten Mönch umkreisten. Dann begann er mit seiner Untersuchung.
Der Prior hatte ihm den Rücken zugewandt und schaute aus dem kleinen Fenster der Zelle. Er
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