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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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Leider können wir Euch in dieser Sache nicht weiterhelfen, Herr Mathäus.«
    Plötzlich sah Harper seinen Vetter verdutzt an. Mit dem Daumen deutete er auf Mathäus. »Ob der vielleicht glaubt, einer von uns war's?«, fragte er, als wäre ihm dieser Gedanke erst jetzt gekommen.
    »Wer weiß«, erwiderte Paulus mit einem hämischen Grinsen. Er erhob sich gelangweilt aus seinem Stuhl und spazierte zu einem der Fenster, die man mit Schweinsblasen zugehängt hatte. Angestrengt versuchte er hindurchzusehen. »Vielleicht sollten wir den Dorfherrn das einmal fragen«, sagte er gefährlich leise.
    »Herr Mathäus tut nur seine Pflicht!«, erklärte Rikalt mit einer erstaunlichen Strenge, die keinen Widerspruch duldete.
    Paulus nickte. Er grinste immer noch. Beatrix bedachte den jungen Herrn von Merode mit einem bewundernden Blick, für den Mathäus ihn fast beneidete.
    Die heimliche Anerkennung der Schönen schien den jungen Herrn von Merode zu beflügeln. »Es dürfte doch jedem Einfaltspinsel einleuchten«, sprach er weiter, »dass Herr Mathäus diese förmliche Befragung nur im Auftrag der Gattin meines Vetters durchführt. Wahrscheinlich hat sie ihm etwas über alte Familienstreitigkeiten erzählt.«
    »Welche Familienstreitigkeiten?«, fragte Harper dümmlich, doch Rikalt winkte ab.
    »Dass Mathäus darauf verzichtet, sich deswegen vor uns zu rechtfertigen, zeugt von seiner Bescheidenheit, seiner Loyalität und seinem aufrechten Charakter.«
    Jedem Anwesenden – selbst Harper – war klar, dass sich diese Spitze gegen Paulus, den Vertreter seines Vormundes, richtete. Diesem war das Grinsen inzwischen vergangen. Offensichtlich spielte er mit dem Gedanken, etwas auf Rikalts Worte zu erwidern, doch Mathäus, dem die Rede des Knaben recht peinlich war, nahm ihm die Gelegenheit dazu.
    »Ich will Eure Zeit ohnehin nicht weiter in Anspruch nehmen«, sagte er schnell und erhob sich aus seinem Stuhl. »Danke, dass Ihr mir Eure Aufmerksamkeit geschenkt habt.« Er sah sie der Reihe nach an, wobei er zu seinem Entsetzen feststellte, wie sein Herz sich bei Beatrix' Anblick zusammenballte. Mit schnellem Schritt verließ er den Saal.
    »Was denn? Und deshalb mussten wir unsere Vesper unterbrechen?«, fragte Harper ungläubig.
    »Halt die Klappe!«, brummte Paulus.

15
    G edankenverloren betrachtete Heinrich das gewaltige Bauwerk, das vor seinen Augen in die Höhe wuchs. Obwohl noch im Bau befindlich und von zahllosen hölzernen Gerüsten umgeben, auf denen es von Arbeitern nur so wimmelte, vermittelte es einen Eindruck vom Ehrgeiz der Kölner, die scheinbar beschlossen hatten, ihre Stadt mit der größten Kathedrale der Welt zu schmücken. Und weder Pest noch Tod sollten sie von ihrem Vorhaben abbringen.
    Vor hundert Jahren hatte man mit dem Bau der Kathedrale begonnen, und sicherlich würde es noch einmal hundert Jahre dauern, bis die Arbeiten daran beendet sein würden. Doch wer wusste schon, ob es diese Welt in hundert Jahren noch gab?
    Zuerst hatte vor einigen Wochen die Pest ihren furchtbaren Einzug in die Mauern Kölns gehalten. Man hatte ganze Gassen verbarrikadiert, um der Verbreitung der Seuche Einhalt zu gebieten. Der Tod war allgegenwärtig gewesen. Dann hatten die Kölner aus Paris die Nachricht vom Ableben ihres Erzbischofs, Walram, erhalten. Schließlich war es zu grausamen Judenverfolgungen gekommen, weil man nach Schuldigen suchte, die die Vorboten der Apokalypse herbeibeschworen hätten. Noch nie hatte man das Ende der Zeiten so deutlich vor Augen gehabt.
    Inzwischen war die schreckliche Seuche so weit abgeflaut, dass man wieder einem halbwegs geregelten Leben nachgehen konnte. Zwar flammten immer wieder neue Pestherde in der Stadt auf, doch erreichten diese längst nicht mehr jene furchtbare Vehemenz wie noch vor wenigen Wochen. Die Menschen hatten gelernt, mit dem Schrecken zu leben. Nichtsdestotrotz gab es immer noch viele Stimmen, die behaupteten, dass der Herrgott das Weltenende beschlossen habe.
    Heinrich zweifelte daran. Er bezweifelte, dass es überhaupt einen Gott im Himmel gab, der die Geschicke der Menschen lenkte. Er zweifelte nun bereits seit elf Jahren, seit jenem unheilvollen Tag, als sein Schwert durch den zarten Leib eines unschuldigen Kindes drang. Nie wieder würde er das schauerliche Geräusch zerberstender Rippen vergessen. Sicher, er hatte auch vorher schon Menschen getötet, schließlich war er ein Soldat des Markgrafen gewesen und hatte an seiner Seite an so mancher Fehde teilgenommen. Doch

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