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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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sich darüber her. Das Mädchen warf ihm vom Schanktisch des Öfteren süße Blicke zu, was sein Herz hüpfen ließ. Wie oft sehnte er sich danach, den Leib einer Frau an dem seinen zu spüren! Wie oft musste er an Johanna denken, die er vor langer Zeit verloren hatte. Johanna! Nun war sie mit einem anderen Mann verheiratet, einem Aachener Ratsherrn. Aber er hatte es ja selbst so gewollt!
    Er leerte seinen Becher in einem Zug, als könne er so seine neuerlich aufkeimende Schwermut ertränken. Der Mann, der plötzlich mit Aufmerksamkeit heischendem Gepolter in die Wirtsstube trat, bewahrte ihn davor, seine Gedanken weiterzuspinnen.
    »Leute, alles wird gut«, verkündete der Ankömmling mit überspitztem Frohsinn. »Der Rätselmeister ist da!«
    »Verzieh dich!«, riet ihm einer der Steinmetze unwirsch. Auch die Gesichter der anderen hießen ihn nicht gerade willkommen.
    Der Mann glaubte zu wissen, was die Männer so abweisend machte. »Keine Sorge, Leute. Ich habe jeden Umgang mit Pestkranken gemieden! Von mir habt ihr nichts zu befürchten. Aber vielleicht seid ihr ja etwas gastfreundlicher, wenn ihr erfahrt, dass einer von euch einen Silbergulden gewinnen kann!«
    Diese Behauptung zeigte Wirkung. Allmählich verebbten die Gespräche, und alle Blicke richteten sich auf ihn, wenngleich immer noch von Misstrauen und Skepsis erfüllt.
    Heinrich betrachtete den Mann eingehend. Er war sicherlich noch ein paar Jahre jünger als er selbst, sein bartloses Gesicht wirkte auf Anhieb durchtrieben, und seine Miene verriet, dass er ständig auf der Hut war. Er trug ein grelles Kostüm, das, wie Heinrich vermutete, die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich ziehen sollte. In seinen Händen drehte er einen nicht minder grellen Hut.
    »Derjenige von euch, der das Rätsel löst, das ich euch stellen werde, erhält einen echten Rheinischen Silbergulden!« behauptete er noch einmal, als endgültige Ruhe eingekehrt war. Aus einer Tasche seines Kostüms zückte er eine riesige Münze, die er in die Höhe hob wie ein Priester eine Hostie.
    »Dann schieß schon los!«, forderte ihn jemand auf.
    Der Rätselmeister hob beschwichtigend einen Arm. »Langsam, Freunde, langsam. Zuerst einmal müsst ihr einen Einsatz riskieren. Nur wer einsetzt, kann auch gewinnen.«
    »Wusste ich doch gleich«, rief einer der Weber erbost. »So läuft der Hase!«
    Der Rätselmeister erstickte aufkommendes Gemurmel im Keim. »Ich bitte euch, Freunde. Der Einsatz für einen jeden beträgt nur einen Pfennig. Seid ihr so arm, dass ihr keinen Pfennig entbehren könnt? Denkt doch an den Gewinn!«
    Er begann durch die Reihen zu schreiten und streckte seinen Hut aus. Anfangs noch zögerlich füllte sich dieser allmählich immer mehr mit kleinen Münzen. Jeder hatte bereits seinen Obolus entrichtet, als der Rätselmeister vor Heinrichs Tisch erschien. Der machte keine Anstalten, eine Münze in den Hut zu werfen.
    »Was denn, traust du dich nicht?«, höhnte der Rätselmeister.
    Heinrich sah lächelnd zu ihm hoch. »Ich möchte dich ungern um einen Silbergulden erleichtern«, erwiderte er.
    »Pah!« Der andere drehte sich Unterstützung heischend um. »Habt ihr das gehört? Wie nennt man einen solchen Mann? Geizhals? Angeber? Oder Drückeberger?«
    »Los, gib ihm doch diesen gottverdammten Pfennig!«, forderte eine raue Stimme.
    Heinrich hob seine Schultern, wühlte in seiner Börse und schnippte das Verlangte in den Hut.
    »Danke!«, sagte der Rätselmeister, sich spöttisch verbeugend. Dann schritt er nach vorne, wo alle ihn sehen konnten, wartete, bis wieder absolute Ruhe eingekehrt war, und holte mit einer bedächtigen Bewegung eine hölzerne Schachtel aus seinem Kostüm hervor. »Den Inhalt dieser Schachtel gilt es zu erraten«, erklärte er geheimnisvoll. Er machte eine Pause, um die Spannung zu steigern, bevor er fortfuhr: »Der Inhalt dieser Schachtel diente seinem Besitzer einst zur Nahrungsbeschaffung!«
    Alle sahen ihn stumm an. Der Rätselmeister machte ein paar Schritte auf und ab, als überlegte er, welche Information er als Nächstes preisgeben sollte. »Später«, sagte er dann versonnen, »später, nach der Aufforderung durch den Meister, ließ er diese Tätigkeit bleiben!«
    »Weiter!«, drängte ein Steinmetz.
    »Er war primus inter pares!«
    »Was zum Teufel heißt das denn?«, wollte jemand wissen.
    Der Rätselmeister bedachte ihn mit einem ungnädigen Blick. »Das heißt Erster unter Gleichen, du ungebildeter Strolch. Doch nun hört weiter: Ein

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