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Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
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das war etwas völlig anderes gewesen. Der Tod des kleinen Mädchens hatte sein Leben verändert. Zwar hatte jeder – auch sein bester Freund Mathäus – ihm versichert, dass das Ganze ein bedauerlicher Unfall gewesen sei. Er hatte auch lange Zeit versucht, sich das selbst einzureden – erfolglos! Dass man ihn zudem noch als Retter des englischen Königs feierte und ihn mit Auszeichnungen überschüttete, hatte die Qualen seines Gewissens nur noch verschlimmert. Seine Gier nach Ruhm hatte das Leben eines Kindes ausgelöscht! Irgendwann hatte er den Dienst quittiert, führte seitdem ein Leben als herumreisender Vagabund. Und seine einzigen Begleiter waren Thusnelda, sein Rappe, und Chlodwig, die riesige schwarze Dogge.
    Das Pferd hatte Heinrich einem Kölner Stallknecht in Verwahrung gegeben, der Hund jedoch saß neben seinem Herrn und blinzelte gelangweilt über den Domplatz, auf dem das städtische Leben pulsierte.
    Heinrich versuchte, die trüben Gedanken, die ihn wieder einmal heimgesucht hatten, zu vertreiben. Er betrachtete die kunstvoll verzierten Türmchen der Kathedrale, soweit sie hinter den Gerüsten auszumachen waren. Ohne die Kathedrale betreten zu haben, wusste er genau, was ihre Baumeister im Schilde führten. Offensichtlich beabsichtigten sie, es ihren französischen Kollegen gleichzutun. In Frankreich nämlich versuchte man bereits seit langem, durch von Pfeilern getragene Kreuzrippengewölbe beim Betrachter ein neues Raumgefühl zu schaffen. Dieser Stil hatte auch im Reich in den vergangenen Jahrzehnten eine regelrechte Revolution ausgelöst. Selbst der unbedeutendste Adelige versuchte heutzutage, diesen Stil zu kopieren. Doch leider gab es nicht allzu viele Bauherren, die sich in dieser Kunst verstanden.
    Heinrich musste an seinen Vater denken, einen Steinmetz, der ebenfalls eine Zeit lang hier beschäftigt gewesen war. Doch das lag über zwei Jahrzehnte zurück. Damals hatten sie hier in Köln gelebt, der Stadt des Erzbischofs, doch Heinrich hatte nur noch blasse Erinnerungen an diese Jahre. Zu viel hatte sich inzwischen verändert, zu sehr war der mächtige Leib der Kathedrale gewachsen. Nur an die große Feier konnte er sich gut erinnern, als man den Hochchor einweihte. Immer noch sah er hinter dem Altar den prunkvoll gewandeten Erzbischof stehen, der sich an diesem Tag sogar dazu herabließ, die Steinmetze und ihre Familien mit seinem persönlichen Segen zu beglücken.
    Ein Bußprediger, der sich in seiner unmittelbaren Nähe auf eine Kiste gestellt hatte und düstere Prophezeiungen ausstieß, ließ seine Gedanken in die Gegenwart zurückkehren. Eine bunte Schar von Zuhörern hatte sich um den mit einer weißen Kutte bekleideten Mann geschart, dessen knochenartiges Gesicht von zahlreichen roten Striemen übersät war. Auch auf seiner Kleidung waren diese Spuren sichtbar. Offensichtlich fügte der Mann sich diese Wunden selbst zu, denn in seiner Rechten schwang er eine Geißel, die er manchmal, zwischen zwei donnernden Sätzen, auf ein Körperteil sausen ließ. Mit vibrierender Stimme verkündete er, das Wüten der Pest sei nur ein Kinderspiel in Anbetracht der biblischen Plagen, die Gott für die Menschheit noch vorgesehen habe. Nur durch Buße und demütige Selbstkasteiung könne der Allmächtige dazu bewegt werden, diese Strafe abzuwenden …
    Zwei herbeieilende erzbischöfliche Soldaten verscheuchten schließlich den apokalyptischen Prediger, der mit kaum vermuteter Flinkheit das Weite suchte. Teils murrend, teils schadenfroh lachend zerstreuten sich seine Zuhörer.
    An Stelle des Predigers trat schon bald ein Gaukler, auf dessen Schulter ein kleiner Affe saß. Der Affe demonstrierte ein paar obszöne Gesten, wobei er seine Zähne vielsagend bleckte. Es dauerte nicht lange, und das Publikum hatte sich erneut zusammengefunden und grölte lauthals über die Zoten des Tieres. Der Gaukler zückte eine Flöte, und der Affe ließ im Takt der schrillen Töne sein Becken kreisen.
    Auch Chlodwig verfolgte von weitem mit hoch aufgerichteten Ohren das schlüpfrige Schauspiel. Nach einer Weile verlor er das Interesse daran und schaute gähnend zu seinem Herrn empor.
    »Du hast Recht, wir sollten hier keine Wurzeln schlagen«, murmelte Heinrich.
    Sie überquerten den Platz und kehrten in eine Gasse Richtung Alter Markt ein, an deren Rand sich der Unrat in überschaubaren Grenzen hielt. Aus einer Nebengasse stürmte urplötzlich ein keuchender Halbwüchsiger hervor. Ungestüm stieß er mit Heinrich

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