Mönchsgesang
schüttelte den Kopf. »Es sind Bauern, Vater, keine Mörder.« Er ließ sich auf einen Hocker sinken und seufzte. »Es ist zum Haareraufen: Ein Mörder auf Schwarzenbroich, ein Attentäter, der immer noch ungestraft umherläuft – und ich bin zur Tatenlosigkeit verdammt!«
Bruder Edmond hatte die Gräber der Mitbrüder bereits mit Erde zugeschaufelt. Nun betete er vor dem Grab seines alten Freundes Adam, und der feuchtkalte Boden, auf dem er kniete, schien ihm wenig auszumachen. Heinrich und Chlodwig betrachteten den betenden Mönch aus der Ferne. Als Adam schließlich ein Kreuzzeichen schlug und sich schwerfällig erhob, befahl Heinrich seinem Hund, sich nicht von der Stelle zu rühren, und näherte sich dem alten Gärtner.
Edmond sah ihn kommen. »Gott mit Euch!«, sagte er leise.
»Gott mit Euch, Bruder!« Heinrich merkte, wie schwer es ihm fiel, den Namen des Allmächtigen in seinen Mund zu nehmen.
Edmond deutete auf das Grab seines ermordeten Freundes. »Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. – So steht es in der Offenbarung. Adam hätte dieser Spruch sicherlich gefallen. Er war ein sehr belesener Mann.« Nun sah er Heinrich mit seinen müden Augen an. »Adam hat Gott treu gedient, bis zu seinem Tod«, erklärte er. »Gott wird ihm die Krone des Lebens aufsetzen.«
Heinrich nickte. »Suum cuique, Bruder. Jedem das Seine.«
»Wenn es tatsächlich stimmt, dass Adam ermordet wurde, so wird sein Mörder dereinst in der Hölle schmoren.«
»Ihr zweifelt noch immer daran?«
»Ich zweifle an allem, außer an Gott. Zweifel ist der Weisheit Anfang, hätte Adam gesagt.«
»Ein interessantes Zitat. Von wem stammt es?«
Edmonds faltiges Gesicht verzog sich zu einem schmalen Lächeln. »Das dürft Ihr mich nicht fragen. Im Gegensatz zu Adam habe ich nie viel gelesen. Und wenn ich nach meinem Tod in das himmlische Paradies gelangen sollte, so werde ich meinen alten Freund disputierend bei den Kirchenvätern finden. Ich dagegen werde mich den himmlischen Gärten widmen.«
»Glaubt Ihr, dass es solche gibt?«
Edmond sah ihn an, als habe er mit seiner Frage ein Sakrileg begangen. »Ich glaube es inbrünstig. Was für Adam die Bücher waren, das ist für mich die Natur. Warum, glaubt Ihr, hat Gott all die schönen Pflanzen geschaffen, all die Herrlichkeiten, die uns umgeben?«
»Wahrscheinlich, damit wir uns daran erfreuen können.« Edmonds Blick wurde wieder mild. »Ja, damit wir uns daran erfreuen können«, stimmte er zu. »Und warum sollte Gott uns die Freuden, die er uns auf Erden billigt, im Himmel vorenthalten? Nennt mir einen Grund, warum es im Himmelreich keinen Rosenstock geben sollte.«
Heinrich hob schmunzelnd seine Schultern. »Ihr habt Recht, Bruder. Und woher sollten die weißen Lilien kommen, die der Herr in seiner Güte mitunter seinen Schäflein zukommen lässt?«
»Spottet nicht über Dinge, die unseren Verstand übersteigen.«
»Verzeiht mir, Bruder.«
Edmond winkte ab. »Schon gut. Es gibt nichts zu verzeihen. Ich bin ein alter Mann, der am Ende seines Lebens steht. Alte Männer faseln gern. Und träumen ein letztes Mal von großen irdischen Dingen.«
»Und wovon träumt Ihr?«
Die trüben Augen des Mönches begannen zu glänzen. »Von einem großen Klostergarten mit bunten Beeten und Meeren von Blumen«, erwiderte er versunken. »Von kühlen Laubengängen, weißen Heckenrosen und üppigen Obstbäumen.«
Heinrich musste dem alten Gärtner Recht geben. Etwas mehr Farbenpracht würde dem unfertigen Klostergelände zweifelsohne gut tun. »Schwarzenbroich ist noch jung«, tröstete er ihn. »Sicherlich wird der Prior Euch eines Tages mit solcherlei Aufgaben betrauen.«
Edmond schüttelte traurig den Kopf. »Nein, das wird er nicht. Prior Anselm ist ein frommer, gottesfürchtiger Mann. Aber sein Glaube hängt sich nicht an Äußerlichkeiten auf. Gemüse- und Kräutergärten, allenfalls ein paar Maiglöckchen für den Marienaltar – das muss reichen für den Dienst an den Himmlischen. Das Gotteslob muss für ihn aus dem Herzen kommen, nicht aus irgendwelchen Blüten. Selbst den Blumenschmuck für die Särge habe ich aus dem kargen Herbstwald holen müssen.« Er seufzte.
»Ihr solltet das Kloster der Prämonstratenser in Wenau sehen«, fuhr er fort. »Das ganze Jahr hindurch eine wahre Blumenpracht. Eine Augenweide, ein Wunder. Die Brüder lassen dort alles wachsen, was man sich denken kann. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich ihren Gärtner
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