Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mönchsgesang

Mönchsgesang

Titel: Mönchsgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Krieger
Vom Netzwerk:
Jutta. »Die Kleine wird krank. Du hättest nicht mit ihr herkommen sollen. Und das durch den Regen.«
    Jutta war anzumerken, dass sie diese Worte als Kränkung auffasste. Dreyling hatte ihre empfindliche Stelle getroffen. Jutta strebte danach, eine perfekte Mutter zu sein. Warf man ihr Verantwortungslosigkeit vor, so war dies eins der wenigen Dinge, die sie rasend machen konnten. Schon von Heilwig, ihrer eigenen Mutter, die sich nichtsdestotrotz ebenfalls als Mutter der kleinen Maria fühlte, musste sie sich genügend gut gemeinter Ratschläge anhören.
    Mit einem mahnenden Blick gebot Mathäus seinem Vater zu schweigen. »Dann legen wir Maria eben ins Bett!«, verkündete er. »Vater, würdest du bitte so freundlich sein …?«
    Dreyling erhob sich brummend von der Bettstatt.
    Mathäus nahm die Kleine auf seinen Arm, legte sie hin und deckte sie zu. Jutta kniete sich daneben und tippte mitleidvoll auf die Nase der Kleinen. »Mein armer Schatz. Ich glaube, du hast Fieber.«
    »Ihr beide werdet jetzt hier bleiben«, erklärte Mathäus. »Morgen sehen wir weiter.«
    »Hier bleiben?« Dreyling hob eine Augenbraue. Er fasste den Sohn beim Ärmel und zog ihn beiseite. »Was sind denn das für Sitten?«, flüsterte er. »Ihr seid nicht miteinander verheiratet. Was glaubst du, was die Leute von dir sagen werden?«
    »Seit wann interessierst du dich für den Klatsch in einem Kuhdorf?«
    »Und ihre Eltern? Was werden die dazu sagen, wenn sie nicht nach Hause kommen?«
    »Jutta und Maria nächtigen nicht zum ersten Mal hier, Vater. Und Heilwig und Johann haben noch nie die Moralwächter gespielt.« Den letzten Satz betonte er genüsslich.
    Dreyling schnappte nach Luft. »Und wo sollen wir schlafen?«
    »Kein Problem. Ich hole frisches Stroh.«
    »Na, entzückend«, seufzte der Vater. Er wandte sich wieder an die beiden Mädchen. Maria wurde von einem neuerlichen Hustenanfall geschüttelt. »Warum kochst du ihr keine Brühe?«, blaffte er Jutta an.
    Die sah ihn aus schmalen Augen an. »Herr Dreyling, ich …«
    »Lass es gut sein, Liebste«, unterbrach sie Mathäus schnell und hob beide Hände. »Vater, würdest du bitte so freundlich sein und dich dort an den Tisch setzen?« Seine Stimme klang gefährlich leise. »Jutta ist in der Krankenpflege nicht ganz unerfahren, und sie wird schon wissen, was zu tun ist.«
    »Macht doch, was ihr wollt. Inzwischen werde ich dem dicken Leo noch einen Besuch abstatten.« Er griff nach seinem Umhang und verließ grummelnd die Stube.
    Seufzend ließ Mathäus sich auf einen Hocker sinken. »Du sollst Vater und Mutter ehren«, skandierte er leise vor sich hin.
    »Ja, das sollte man in der Tat«, erwiderte Jutta gereizt. »Aber nirgends steht geschrieben, dass die Eltern ihre Kinder drangsalieren sollen. Vor allem, wenn diese längst für sich selbst sprechen können.«
    »Er meint es nicht so, wirklich nicht.«
    Jutta murmelte etwas Unverständliches und kümmerte sich wieder um die kleine Maria.
    Mathäus fühlte sich leer und ausgelaugt. Wie immer, wenn ihn dieser Seelenzustand befiel, wünschte er sich die Geliebte in seine Arme, denn nur sie war imstande, seine Bedrückung augenblicklich zu vertreiben.
    Doch Juttas Verärgerung schien auch ihm zu gelten. Schuld daran war Richmond Dreyling, sein eigener Vater.
    Mathäus ertappte sich erstmals bei dem Gedanken, seinen Vater in weite Ferne zu wünschen. Zu allem Überfluss tauchte das Bild seiner verstorbenen Mutter wieder vor ihm auf und steigerte seinen Trübsinn. Sicherlich hätte Mutter die Fronten geglättet.
    Er versuchte, an etwas anderes zu denken. Wie mochte es Heinrich auf Schwarzenbroich inzwischen ergangen sein? Doch auch dieser Gedanke mündete schon bald in selbstquälerische Gewissensbisse. Wie hatte er nur seinen besten Freund in die Höhle des Löwen schicken können? Sicherlich würde der Mörder versuchen, auch ihn ins Jenseits zu befördern.
    Erst als er plötzlich merkte, wie Juttas Hände sich von hinten auf seine Schultern legten, beruhigte sich sein aufgewühltes Gemüt allmählich. Juttas schwarze Haare fielen über sein Gesicht, und er spürte ihren heißen Atem in seinem Nacken.
    »Ich liebe dich«, hauchte sie.
    Mathäus kostete dieses Glücksmoment mit geschlossenen Augen aus. Juttas Zuneigung strömte wie ein warmer Quell durch seinen Körper. Und er begann sich ernsthaft zu fragen, wie Beatrix' Anblick seinen Herzschlag auch nur hatte beschleunigen können.

20
    D as Pochen an der Tür ließ Mathäus erwachen.

Weitere Kostenlose Bücher