Mönchsgesang
empfand er Mitleid mit dem Diener, der ihm inzwischen so ans Herz gewachsen war.
»Roswitha war es!« Er sagte es mit einer Bestimmtheit, die keine andere Lösung mehr zuließ. »Roswitha, deine Freundin, hat Herrn Konrad eins übergebrannt!«
Dietrichs gesenkter Kopf war Antwort genug.
»Als sie merkte, dass ich eingehend nach dem Täter suchte, wurde die Sache für sie brenzlig. Deshalb ist sie abgehauen«, fuhr Mathäus fort. »Wo ist sie hin?«
Dietrich sah erschrocken auf. »Ihr wollt sie verfolgen lassen, Herr?«
»Mach dir keine Sorgen, Junge. Ich werde die Sache regeln, sobald ich hier rauskomme. Du musst mir nur vertrauen. Aber sag mir, wo sie hin ist.«
»In Monschau wohnt eine ihrer Cousinen. Dort wollte sie Unterschlupf suchen.«
»Gut. Und nun reite nach Düren. Ich erwarte dich so bald wie möglich zurück.«
Dietrich, der neue Zuversicht schöpfte, nickte eifrig und verschwand. Sogleich rückte die Front der Mistgabelträger wieder vor. Mathäus schenkte ihnen einen weiteren zornigen Blick und kehrte in die Stube zurück.
»Und?«, fragte Dreyling.
»Die Dinge beginnen ihren Lauf zu nehmen«, erwiderte Mathäus.
Heinrich hatte beschlossen, über den Anschlag Stillschweigen zu bewahren. Es hätte wenig Sinn gemacht, Prior Anselm darüber zu informieren. Was hätte dieser schon tun können? Freiwillig melden würde sich der Mordbrenner ohnehin nicht. Inzwischen fragte sich Heinrich, ob hinter dem Anschlag tatsächlich eine Tötungsabsicht gesteckt hatte. Vielleicht hatte ihn ja nur jemand einschüchtern wollen? Ein geübter Armbrustschütze hätte sein Ziel aus dieser Distanz wohl kaum verfehlt.
Der Abschuss des Bolzens war wahrscheinlich von einer Fensteröffnung des ersten Stocks aus erfolgt. Dieses Fenster befand sich auf dem Korridor, der den Zellen der Mönche gegenüberlag. Heinrich hatte den mutmaßlichen Ort der Tat aufgesucht und akribisch untersucht. Aufschlussreiche Spuren hatte er dort allerdings nicht gefunden.
Im Kreuzgang begegnete ihm Prior Anselm, dessen Schwermütigkeit inzwischen vollends einer nervösen Gereiztheit gewichen war. »Noch kein Erfolg bei der Mördersuche, Herr Heinrich?« fragte er bissig.
»Nein, Pater. Noch nicht.«
»Vielleicht sollten wir die ganze Sache endlich auf sich beruhen lassen, findet Ihr nicht? Schließlich sind wir Menschen, keine Götter: Homines sumus, non dei! Der Allmächtige in Seiner unendlichen Weisheit wird am Jüngsten Tag über den Mörder richten. Und sollte dieser tatsächlich in den Mauern dieses Klosters weilen, so entkommt er diesem Gericht dennoch nicht.«
»Sagt Ihr das auch dem Generalprior?«
Die Erwähnung seines Oberen ließ Anselm merklich zusammenzucken. Doch schnell gewann er seine Fassung wieder. »Was schert Euch das?«, erwiderte er kühl.
»Pater, ich bin sicher, dass ich Euch den Mörder bald präsentieren kann.«
»Ach wirklich? Und was, bitte schön, bestärkt Euch in dieser Zuversicht?«
»Einige Dinge, die ich im Augenblick noch besser für mich behalte.« Heinrich sah den Prior beschwörend an. »Lasst mir noch Zeit bis morgen, Pater. Ich möchte nicht, dass Ihr Eurem Nekrologium weitere Namen hinzufügen müsst.«
»Ihr redet wie dieser Dorfherr. Geschehen ist allerdings wenig.«
Die beiden Novizen, die in diesem Augenblick um die Ecke bogen, kamen dem Prior gerade recht, um seinem Ingrimm weiteren Ausdruck zu verleihen. »Was ist mit deiner Kutte geschehen?«, fauchte er Reiner an. »Glaubst du, dass der Herrgott Freude an einem Diener hat, dessen Gewand über und über mit Flecken besudelt ist?«
Reiner schaute an sich herab. »Nein, Frater«, erwiderte er kleinlaut.
Auch Karsil entging dem Zorn des Priors nicht. »Und du? Hast du schon mal deine verdreckten Fingernägel betrachtet?«
Der Novize warf einen verstohlenen Blick darauf.
»Willst du mit diesen Händen etwa beten?«
»Nein, Frater.«
»Zur Vesper will ich euch frisch gewandet und frisch gewaschen sehen, verstanden?«
»Ja, Frater«, erwiderten die Novizen wie aus einem Munde, bevor sie eiligst davonhuschten.
Anselm seufzte laut. Dann wurde er sich der Gegenwart Heinrichs wieder bewusst. »Ich gebe Euch Zeit bis morgen«, sagte er tief durchatmend, als habe er einen tief greifenden Entschluss gefasst. »Dann werde ich diese Angelegenheit dem Generalprior in die Hände geben. Der Herr will es offenbar nicht anders. Es wird Zeit, dass der normale Alltag wieder Einkehr in diese Mauern hält.« Mit einem letzten argwöhnischen Blick
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