Mönchsgesang
meine Weise regeln. Hast du das verstanden?«
Dreyling lachte hell auf. »Was unterstehst du dich? Ich bin dein Vater!«
Mathäus starrte auf den Holzklotz vor seinen Augen. »Ja, du bist mein Vater«, sagte er schließlich leise. »Und ich möchte nicht, dass dir irgendetwas zustößt. Ich möchte dich nicht auch noch verlieren.«
Mit dieser Erwiderung hatte Dreyling nicht gerechnet. Er versuchte, sich seine Rührung nicht anmerken zu lassen.
Juttas Hand, die ihn sanft an der Schulter berührte, ließ ihn herumfahren. »Warum vertraut Ihr Eurem Sohn nicht einfach, Herr Dreyling?«, fragte sie mild und sah ihn offen an.
Dreyling erwiderte ihren Blick eine ganze Zeit lang. Dann schluckte er schwer und wandte sich ab. Bedächtig ließ er sich neben seinem Sohn nieder, der stumm an seiner Heiligenfigur schnitzte.
»Ich werde Dietrich, den Diener, mit einem Auftrag nach Düren schicken«, erklärte Mathäus nach einer endlosen Weile, als habe er sich dazu durchgerungen, den Vater über seine Absichten zu informieren.
Dreyling nickte nur. Er stellte keine weiteren Fragen. Draußen rief jemand den Namen des Dorfherrn.
»Das ist er.« Mathäus erhob sich und eilte zur Tür.
»Bitte, bleibt, wo Ihr seid, Herr!«, empfing man ihn zum wiederholten Male.
»Ja, ja, schon gut. Wo ist Dietrich?«
»Hier, Herr!« Der Diener wollte dem Dorfherrn entgegentreten, doch eine energische Bauernhand hielt ihn zurück.
»Ich würde gerne mit ihm reden!«, rief Mathäus unwirsch.
»Das könnt Ihr ja auch. Aber jeder bleibt, wo er ist!«
»Dann tretet gefälligst einige Schritte zurück. Das, was ich Dietrich zu sagen habe, ist streng vertraulich.«
Wieder beratschlagten die Männer. Schließlich zogen sie sich mit geschulterten Mistgabeln weit hinter den Dorfbach zurück, ohne freilich den Diener und den Dorfherrn aus den Augen zu lassen.
Mathäus nickte ihnen dankend zu. Dann wandte er sich an Dietrich, der seinen Blick verunsichert umherschweifen ließ. »Dietrich, ich brauche dich einmal mehr für einen wichtigen Auftrag!«, erklärte er mit gedämpfter Lautstärke.
»Ja, Herr?«
»Du musst nach Düren reiten. Hol Meister Cornelius, den Medicus, sofort hierher. Sag ihm, es handle sich um eine Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit. Ich erwarte dich noch vor Einbruch der Dunkelheit mit ihm zurück. Hast du verstanden?«
»Ja, Herr. Obwohl …« Er druckste verzweifelt herum.
»Obwohl was?«
»Nichts, Herr. Schon gut.«
»Dann fliege!«
Der Diener nickte und machte auf dem Absatz kehrt. Aber Mathäus' Stimme ließ ihn noch einmal innehalten. »Dietrich, noch etwas!«
»Herr?«
»Willst du mir nicht endlich sagen, was dich bedrückt?«
Der Diener japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Ich … ich dachte, der Auftrag eilt«, stammelte er.
»Trotzdem würde es mich freuen, wenn du mich einweihst«, erwiderte Mathäus, den eine seltsame Vorahnung befiel. »Vielleicht kann ich dir ja helfen?«
»Ach, es ist nur …«
»Liebeskummer?«, half Mathäus ihm auf die Sprünge.
»Na ja, so etwas Ähnliches.«
»Ist deine Liebste fortgelaufen?«
Dietrich sah sich verstohlen nach allen Seiten um. »Ja, Herr.«
»Und eigentlich wolltest du ihr jetzt hinterher, nicht wahr?«
»Ja, Herr. Aber natürlich sehe ich ein, dass Euer Auftrag Vorrang hat. Ich würde es mir niemals verzeihen, Euch jetzt im Stich zu lassen.«
Mathäus dankte ihm mit einem freundlichen Lächeln. »Weißt du, warum sie es getan hat?« Ein unbestimmter Instinkt befahl ihm, nicht lockerzulassen.
Dietrich dämpfte seine Stimme so sehr, dass Mathäus Mühe hatte, ihn zu verstehen. »Roswitha konnte die Schikanen des Herrn Konrad nicht mehr ertragen«, erklärte er mit gesenktem Blick.
»Welche Schikanen?«
Dietrich rieb sich am Kinn. »Nun, im vergangenen Sommer hat Herr Konrad sie zusammen mit einer anderen Magd in ein Verlies sperren lassen. Und Schläge gab's obendrein.«
»Was hatten die beiden denn angestellt?«
»Angeblich hatten sie Herrn Konrads Wein probiert.«
Jetzt erinnerte sich Mathäus an diese Lappalie. Damals hatte er dringend eine freie Kerkerzelle für einen Verdächtigen benötigt. Nur mit Mühe hatte er Konrad überreden können, die beiden Mägde aus der Zelle zu entlassen. Noch während er seine Gedanken zurückschweifen ließ, kam es über ihn wie eine Erleuchtung. Natürlich, schoss es durch seinen Kopf. Alles passt zusammen! Ein triumphierendes Glücksgefühl stieg in ihm hoch, gleichzeitig jedoch
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