Mönchsgesang
beneide.«
»Ihr wart schon einmal dort?«
»Ja, früher. Ich holte dort für Adam Bücher ab. Inzwischen bin ich zu alt für solche Fußmärsche. Ich werde wohl nie mehr dort hinkommen, und auf meinem Grab werden einst allenfalls ein paar Gräser gedeihen.«
»Aber die himmlischen Gärten werden erfreut sein über den neuen Gärtner.«
Beide schmunzelten sich zu. »Ja, vielleicht«, erwiderte Edmond.
Die Klosterglocke beendete ihr Zwiegespräch. »Die Glocke ruft zur Non«, erklärte der Mönch. »Bitte entschuldigt mich.«
»Natürlich, Bruder.« Heinrich sah ihm nach, bis er im Klostergebäude verschwunden war. Nachdenklich verschränkte er seine Arme. Nach einer Weile spürte er Chlodwigs Schnauze an seinem Bein.
»Was willst du?«
Der Hund gähnte herzhaft.
»Langeweile, wie?«
Just in diesem Augenblick schwirrte ein dunkles Etwas an ihnen vorüber. Zunächst glaubte Heinrich an ein riesiges Insekt, doch dann erkannte er, was sich dort wenige Schritte rücklings von ihm in den Erdboden gebohrt hatte: Es war der Bolzen einer Armbrust! Sofort war er putzmunter. Uralte antrainierte Reflexe erwachten in ihm. »In Deckung!«, zischte er seinem sichtlich verwirrten Hund zu. Mit zwei riesigen Sätzen verschwand er hinter der Balustrade eines Geräteschuppens. Chlodwig, der sich aus all dem offenbar keinen Reim machen konnte, folgte ihm watschelnd.
»Beeil dich, du Schnecke!«, rief Heinrich flehentlich. Seine Befürchtung allerdings erfüllte sich nicht: Kein weiterer Bolzen wurde auf sie abgeschossen! Heinrich zerrte den herantrottenden Hund hinter die hölzerne Deckung. »So viel zu deiner Langeweile, Chlodwig.«
Nach einem Moment der Totenstille traute er sich, über die Brüstung zu äugen. Er konnte nichts Verdächtiges ausmachen. Aber eines war klar: Der Bolzen war vom Klostergebäude abgeschossen worden!
21
R ichmond Dreyling lehnte sich spähend aus dem Fenster. »Diese Verrückten haben sich überall postiert«, fluchte er und schloss die hölzernen Verschläge.
Mathäus hielt es nicht mehr auf seinem Hocker. »Etwas muss passieren«, grummelte er. Nachdenklich betrachtete er seine Geliebte, die die Situation gelassen nahm und sich ausschließlich um die rotfleckige Maria kümmerte. Die Kleine lag in ihrem Bett und schien die Aufmerksamkeit, die ihr von Jutta zuteil wurde, sichtlich zu genießen.
»Lass doch einen dieser Möchtegern-Grafen von der Burg herkommen«, schlug sein Vater vor. »Dann sollen sie diesen Trotteln mal gefälligst den Marsch blasen.«
Mathäus schüttelte den Kopf. »Das gäbe womöglich ein blutiges Gemetzel. Die Angst der Bauern vor der Schwarzen Pest ist größer als ihr Respekt vor ihren Lehnsherren. Ich sehe nur eine Möglichkeit, ihren Dickkopf weich zu klopfen.« Er schritt zur Tür und öffnete sie. »He, ihr!«, brüllte er nach draußen. »Würde einer von euch die Güte besitzen, zur Burg zu gehen und mir den Diener Dietrich herzuholen?«
Die Männer vor dem Haus warfen sich unsichere Blicke zu. Niemand machte Anstalten, der Bitte des Dorfherrn nachzukommen.
»Also, wird's bald?«, kläffte Mathäus. »Sonst zieh ich euch allen die Hammelbeine lang, sobald ich hier rauskomme!«
Nach kurzer Beratschlagung machte sich einer der Knechte auf den Weg. »Wird erledigt, Herr«, rief Rudolf, der Bauer, lammfromm. Den Männern war die Situation offenbar selbst peinlich. Schließlich war der Dorfherr ein in der Herrschaft sehr geachteter Mann. Doch es war in der Tat so, wie Mathäus behauptet hatte: Ihre Furcht vor der Krankheit war größer als der Respekt vor der Obrigkeit.
Wütend warf Mathäus die Tür hinter sich zu. Aus der Schublade eines kleinen Bords kramte er ein Schnitzmesser hervor. Dann schnappte er sich den Lindenklotz, der immer noch in einer dunklen Stubenecke seiner Verwandlung harrte. Mit diesen Utensilien ließ er sich an den Tisch nieder.
Dreyling schüttelte fassungslos den Kopf. »Was denn? Draußen will uns eine Horde aufgebrachter Bauern ein paar Mistgabeln in die Hintern bohren, und du schnitzt Heilige Jungfrauen?«
»Hast du eine bessere Idee?«, brummte Mathäus.
»Allerdings.«
»Und welche?«
»Ich werde jetzt hinausgehen. Wollen doch mal sehen, ob diese Tölpel wirklich den Mut besitzen, mich umzubringen.«
»Nein, das wirst du nicht tun, Vater.«
»Und warum nicht?«
»Weil ich es nicht will!« Mathäus' Faust fuhr krachend auf den Tisch. »Hörst du, Vater? Ich will es nicht! Dies ist mein Haus, und ich werde die Dinge auf
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