Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
erreicht, bogen ein zur Treppe in den nächsten Stock. »Daniel Morbacher und Miriam Güntzel. Beide sind Studenten.«
Lutze runzelte die Stirn. »Miriam?«
»So ist es. Sie studiert übrigens Germanistik, Bildungswissenschaften und Kommunikation.«
Nun blieb der Lorbass stehen. »Wie unsere Miriam?«
»Ja, die Sache wird noch spannend. In gewisser Weise ist das unsere Miriam, und zugleich ist sie es nicht. Lena Schultz, in deren Wohnung so viel Blut vergossen wurde, hat sich im Internet mit der Identität ihrer Nachbarin geschmückt.«
***
Die Auffindungszeugen wohnten schräg gegenüber von Nummer 608 in der 607, und bei den dort befindlichen Kriminaldauerdienstlern handelte es sich um den alten Hasen Helmich und eine junge Kriminalkommissarin, die Barbara noch nie gesehen hatte. Sie hieß Kunze und hatte bislang ein paar Jahre bei der Kripo in Sanitz gearbeitet.
In dem Zimmer, wo man sich im wahrsten Sinne des Wortes niedergelassen hatte, gab es keine Stühle oder Sessel, sondern eine Matratzen- und Kissenlandschaft, die nicht nur einen Polizisten sofort an Opiumhöhle und Orgien denken ließ. In der Mitte befand sich ein flacher Tisch, auf dem ein paar Bierflaschen sowie eine fast leere Flasche Jim Beam standen, ein Aschenbecher und ein klebrig wirkender Flakon, in dem alles Mögliche gewesen sein konnte, auch Wasser. Das Fenster, aus dem Barbara rasch schaute, ging in Richtung Süden, auf den Lütten Kleiner Boulevard sowie die Neubauten jenseits der Warnowallee. Blickfang war die sogenannte Wohnscheibe, von der früher immer behauptet worden war, die Polen hätten sie gebaut. Vielleicht war es so, aber alle Polen waren zweifellos nicht daran beteiligt gewesen.
Barbara drehte dem Fenster den Rücken zu. Die Bewohner von 607 waren alles andere als ordentlich, wobei dieses Urteil auf den ersten Blick vor allem für den Jungen zutraf. Die her-umliegenden Hosen, Shirts und Turnschuhe konnten zwar alle auch von einer weiblichen Person getragen werden, aber für Miriam waren sie zu groß. Überall im Raum waren weitere Ascher verteilt, Bücher und Studienunterlagen stapelten sich, zwischen zwei Kissen ragte Hermann Hesses Roman Steppenwolf hervor. Mindestens einer der beiden war kreativ, denn das große, direkt auf die Wand aufgetragene Ölbild stammte bestimmt nicht von den Malern der Wohnungsbaugesellschaft. Es stellte eine Küstenlandschaft dar, mit Windflüchtern und allem Pipapo, allerdings in verfremdeten Farben.
»Berichten Sie doch bitte, warum Sie vor einigen Stunden meinten, sie müssten die Polizei rufen«, verlangte Barbara.
Daniel Morbacher nickte und zog eine Packung Tabak aus der Tasche seines schwarzen Kapuzenshirts, das unter einem stilisierten Globus die weiße Aufschrift Less is more trug. Miriam Güntzel wühlte alldieweil zwischen Kissen und förderte eine Schachtel mit Zigarettenhülsen zutage, die sie ihrem Mitbewohner reichte.
»Wir waren heute zu einem Konzert im bacio club «, sagte sie. »Ich bin mit meiner Frauenband aufgetreten …«
Barbara unterbrach sie sofort: »Sie spielen in einer Frauenband?«
Miriam nickte. »KKC heißt sie, Kastriert Kater Carlo . Wir sind zu viert. Alles Mädels vom Gymi, so lange hält das schon. Wir traten also im Speicher auf, so bis … Dani?«
»Ungefähr 23:30 Uhr oder so«, sagte er und begann, eine Zigarette zu drehen. »Ich war mit ein paar Aktivisten da. Danach haben wir noch etwas getrunken …«
»Um welche Art von Aktivisten handelt es sich?«, wollte Barbara wissen. Sie war zwei Schritte vom Fenster in den Raum getreten, um ein paar kleinformatige Bilder zu betrachten, die sogar gerahmt waren. Besonders eines, ungefähr 15 x 10 cm messend, stach ihr schon eine Weile ins Auge: Ein blühender, also in gewisser Weise vegetabiler Phallus mit Kaktusstacheln. Von krakeliger Hand war der Titel in den Wüstensand geschrieben: Der Weltregentenstab . Die Signatur P.P.12 erinnerte Barbara an eine ihr verhasste Schwaaner Künstlerin, die offenbar inzwischen auch Studentenhaushalte mit ihrem Geschmiere erobert hatte.
»Ich mag das Bild«, meinte Miriam.
»Passt zu KKC «, meinte Barbara. »Woher haben Sie es?«
»Bei der letzten Rostocker Kunstnacht gab’s bei Art’s Art am Alten Markt die Austellung Forever female . Wir sind dort jeden Abend aufgetreten, und beim letzten Mal hat es Pene-lope – das ist die Künstlerin –, die hat es mir geschenkt.«
»Aha?« Barbara wandte sich von der Phalluspflanze ab. »Herr Morbacher, meine Frage
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