Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
die linke Handfläche. Dann ging sie zur Treppe. Uplegger nahm auf dem zweiten Stuhl Platz, der kein Drehstuhl und schon etwas wacklig war. Schnell gewann er die feste Überzeugung, dass die Wohnungsbaugesellschaft Waterkant , der das Hochhaus gehörte, diese Frau weder aus Mitleid eingestellt hatte noch um ihr eine sogenannte zweite Chance zu geben, sondern für den Judaslohn eines Lohnkostenzuschusses vom Jobcenter: Angela Hönig sah nach bezuschusster Ausbeutung aus.
Doch er irrte. Die Waterkant hatte sie nicht angestellt, sondern bloß gemietet. Den Arbeitsvertrag hatte Frau Hönig von einer Zeitarbeitsfirma mit dem klangvollen Namen Baltic Job Initiative , die alles vermittelte, was zwei Beine hatte, und die keine Zuschüsse bekam oder wollte, vermutlich weil dieser Menschenhandel genug abwarf.
Frau Hönig musste natürlich ein Wachbuch führen, aber sie war noch nicht dazu gekommen, die Vorkommnisse der letzten Nacht einzutragen. Da sie nicht lange zurücklagen, begnügte sich Uplegger mit ihrem Gedächtnis.
Obwohl das Arrangement von Pförtnerloge und Fenster es erwarten ließ, erhielten die Mieter hier keine Ausweise, mit denen sie sich legitimieren mussten, bevor sie in ihre Wohnungen durften. Dass sie einen Schlüssel für die Schließanlage hatten, genügte. Aber auch Besucher, denen von den Bewohnern die Tür per Knopfdruck geöffnet wurde, durften unkontrolliert passieren. Die Wachschützerin war also mehr zur Abschreckung und für das subjektive Sicherheitsempfinden da, außerdem erledigte sie die Aufgaben einer Concierge, nahm beispielsweise Pakete entgegen oder Nachrichten, manchmal half sie dem Rollstuhlfahrer aus der 912, der nicht an seinen Briefkasten herankam.
»Eben solche Sachen«, sagte sie.
»Aber Sie merken sich bestimmt diejenigen Leute, die Sie nicht kennen? Vor allem natürlich, wenn sie spät am Abend kommen?«
»Na ja, merken …« Sie hob die Schultern.
»Wie war das gestern Abend?«
Angela Hönig betrachtete nachdenklich ihre abgebrochenen Fingernägel: »Also eine Sache, die kommt mir jetzt … ich meine, so im Nachhinein … die kommt mir schon irgendwie komisch vor.«
Uplegger beugte sich ihr entgegen und blickte betont freundlich: »Lassen Sie hören.«
»Wir sind natürlich nicht dazu da, die Mieter oder ihre Gäste zu überwachen …«
»Das habe ich schon verstanden.« Upleggers Mundwinkel küssten die Ohrläppchen.
»Deshalb … ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber es muss gegen 10 gewesen sein. 22 Uhr. Da kam der Herr Besenbinder aus der 12., zusammen mit einem jungen Mann. Wissen Sie …« Sie verstummte.
»Ja?«
»Der Herr Besenbinder bringt öfter junge Männer mit.«
»Verstehe.«
»Ich mein, er ist bestimmt über 60!«, entrüstete sie sich.
»Dann wird er wohl Geld haben.«
»Na ja, schon möglich. Er fährt jedenfalls einen großen Mercedes. Und hat ein Wochenendhaus in Dierhagen.«
»Und der junge Mann gestern Abend?«
»Na, der sah so aus, wie die eben heute so aussehen. Schwatt. Schwatte Hose, so’n schwattet Schört mit Kapuze, die hatte er auch auf … Die jungen Leute verstecken so gern ihr Gesicht, aber ich versteh nicht, warum? Nur die Schuhe waren weiß. Turnschuhe natürlich. Von …« Ein kurzes Lächeln flog über ihr Gesicht. »Von Reebok .«
»Damit kennen Sie sich aus?«
Noch einmal lächelte sie kurz: »Ich habe drei Söhne und fünf Enkel«, sagte sie. Das erklärte in der Tat so einiges, wie Uplegger wusste.
»Dieser junge Mann in schwarzem Outfit und weißen Turnschuhen kam also in Begleitung des Herrn Besenbin-der – oder der Herr Besenbinder in seiner Begleitung …«
»Das ist es ja eben, was ich so komisch finde. Jetzt so, hinterher. Der hatte mit Besenbinder gar nichts zu tun, sondern war einfach mit ihm ins Haus geschlichen. Wenn ein junger Mann ihn bittet, ihn mit ins Haus zu lassen, wegen Schlüssel vergessen oder Freundin überraschen oder so etwas, dann macht der das glatt.«
Uplegger notierte den Namen: Besenbinder. Die Wohnungsnummer würde er an den Briefkästen finden. »Sind Sie wirklich sicher, dass der Schleicher ein junger Mann war?«
»Na ja«, Frau Hönig wiegte den Kopf, »bei diesen Anziehsachen? So etwas trägt doch keiner, der älter ist.« Allerdings war sie unsicher geworden und fügte hinzu: »Vielleicht war es auch einer der Arbeiter.«
»Arbeiter?«
»In der ersten und zweiten Etage werden ein paar Wohnungen als Apartments vermietet. WaterkantOtel nennt sich das. Die Schlüssel holt man
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