Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Sofort stand ihm Schweiß auf der Stirn. Als er versuchte, sie bei den Armen zu greifen, hauchte sie: »Miete! Über die Miete haben wir …«
Dann verlor sie das Bewusstsein.
Als Barbara mit einem Dienst-PKW in Lütten Klein eintraf, stand ein Rettungswagen vor dem Hochhaus, und daneben erblickte sie Jonas Uplegger. Er sprach durch die geöffnete Seitentür, während ihm ein kalter Regen auf das unbedeckte Haupt hämmerte. Barbara langte hinter sich auf die Rückbank. Gleich würde sie ihrem Kollegen eine Freude machen können, denn sie hatte gerade in einem Drogeriemarkt vier Eintagsschirme erworben: Sie waren dort im Sonderangebot gewesen, und für 2,45 Euro pro Stück konnte man sie mitnehmen.
Barbara öffnete die Tür und wuchtete ihren Körper aus dem Wagen, während sie die Hülle von einem karierten Knirps entfernte. Als sie die Automatik betätigte und er sich über ihr entfaltete, hatte sie das befriedigende Gefühl, ein wahres Schnäppchen gemacht zu haben.
Uplegger bekam einen schwarzen Schirm in die Hand gedrückt, dann warf sie einen Blick in den Rettungswagen. Eine Greisin mit schütterem weißen Haar saß dort auf einem Tragstuhl, ein unwahrscheinlich aufgedunsener Rettungssanitäter presste ihr eine Sauerstoffmaske über Mund und Nase, während sein hageres und bebrilltes Pendant, das wie ein Milchreisbubi aussah, ratlos dreinblickend ein Gerät in der Hand hielt, das einer Mischung aus Defibrilator und Dildo glich. Barbara war schon vielen Rettungswagenbesatzungen begegnet und wusste, wie schreiend dumm manche dieser Leute waren. Deshalb gab sie sich mit ihnen nur selten ab. Auch jetzt wandte sie sich gleich an Uplegger: »Was ist mit ihr?«
»Lungenemphysem? Sie ist vor meinen Augen zusammengeklappt. Danke übrigens.« Er streifte die Hülle von seinem Knirps.
»Gute Idee, nicht wahr?«
»Brillant. Gehen wir ein paar Schritte?«
Barbara nickte, Uplegger spannte den Schirm auf.
»Frau Nerdich …«, begann er, als die Dampframme ihm schon ins Wort fiel: »Diese dünnen Haare kann man nicht frisieren!«
»Sie trägt gewöhnlich eine Perücke. Also, sie ist wieder auf dem Damm. Es war wohl nur eine kurzzeitige starke Atemnot, weil sie sich erregt hat. Ihr fiel nämlich ein, dass Lena Schultz eine Morddrohung erhalten hat.«
»Eine Morddrohung?« Barbara merkte erst, dass sie in eine Pfütze getreten war, als Wasser in ihren Schuh drang. Mit einem Fluch zog sie den Fuß zurück. »Wann hat sie Ihnen denn das gesagt?«
»Sofort, als sie das Bewusstsein wiedererlangt hat. Lena hat ihr den Drohbrief sogar gezeigt. Die beiden haben manchmal ein paar Worte gewechselt. Es muss vor etwa einem Dreivierteljahr gewesen sein, als die Wohnungsbaugenossenschaft die Nebenkostenabrechnung verschickte und zugleich eine gelinde Mieterhöhung ankündigte. Bisher war es wohl so, dass die Mieter, die ja zugleich Genossen sind, von der Betriebskostenvorauszahlung immer etwas zurückerhielten. Kleckerbeträge, wie Frau Nerdich sagt. In diesem Jahr wurden erstmals Nachzahlungen fällig.«
»So? Und wegen dieser Nachzahlungen wurde Lena Schultz ermordet?«
»Wurde sie das?«
»Woher soll ich das wissen? Ohne Leiche?« Barbara schaute zu Boden und ärgerte sich über ihren nassen Fuß. Langsam näherten sie sich dem Lütten Kleiner Boulevard.
Uplegger fuhr fort: »Frau Nerdich kam hinzu, als Lena Schultz den Drohbrief aus dem Kasten nahm. Genauer gesagt, sie hatte ihn schon geöffnet und gelesen. Erschüttert habe die junge Frau ihr den Brief gezeigt, der natürlich absenderlos war.«
»Alles andere wäre wohl auch zu schön, um wahr zu sein.« Sie hatten die Bummelmeile des Neubaugebietes erreicht. Barbaras Blick fiel auf einen Bäckerladen, der zu einer Kette gehörte, was sie nicht überraschte. Ein Kaffee, dachte sie, und ein paar belegte Brötchen wären nicht schlecht, auch wenn die Ketten-Brötchen wie Gummi waren und die Butter nicht aufgestrichen, sondern aufgekratzt wurde. Sie fragte also, ob auch Uplegger etwas wolle, und erbot sich sogar, ihn einzuladen. Er stimmte sofort zu, denn dieses Wunder wollte er nicht ungenutzt lassen.
»Was stand denn in dem Brief?«
»Sinngemäß hieß es wohl darin, dass Lena angesichts der angekündigten Mieterhöhung aufpassen solle, dass sie nicht aus dem Fenster stürze.«
Barbara, die kurz stehengeblieben war, setzte sich wieder in Bewegung. Der kleine Schirm vermochte nicht allzu viel Wasser abzuhalten, zumal der Wind den Regen von der Seite einfallen ließ,
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