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Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)

Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)

Titel: Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinstorff-Verlag
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zurückkamen? Ich meine, in der näheren Umgebung oder im Haus selbst?«
    Frau Nerdich nippte an ihrer Tasse und schien ernsthaft nachzudenken. Uplegger ließ seinen Blick währenddessen über die Buchrücken schweifen und erkannte etliche Romane, die seine Jugend geprägt hatten, viel sowjetische Literatur, darunter eine Prachtausgabe von Wie der Stahl gehärtet wurde . Den Namen des Verfassers konnte er auf die Entfernung nicht erkennen, und er war ihm auch entfallen. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitschüler hatte er das Werk sogar gelesen und fragte sich nun, ob man es heute, da sich der Sozialismus in Wohlgefallen aufgelöst hatte, wohl noch lesen könne? Er vielleicht gerade noch, aber Marvin?
    »Beim besten Willen«, sagte Frau Nerdich, »außer dem Nieselregen fällt mir nichts ein, das ich Ihnen mitteilen könnte. Unten saß die Wachschützerin in ihrem Kabuff, ich sagte natürlich guten Abend, dann guckte ich noch in den Briefkasten. Das mache ich immer, wenn ich vorbeikomme, auch wenn ich ihn am Tag schon geleert habe. Ich bin mit dem Fahrstuhl gefahren, habe Katzenwäsche gemacht, mich dann mit einem Schlafmittel ins Bett gelegt. So gegen 23 Uhr dürfte ich bereits geschlafen haben.«
    »Das heißt, Sie sind etwa gegen 22:30 Uhr am Haus eingetroffen? Plus minus natürlich …«
    »Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Das heißt, warten Sie: Als ich auf der Brücke über die Stadtautobahn fuhr, habe ich auf die Uhr neben dem Tachometer gesehen. Ich weiß genau, sie zeigte 22:27, und da sie sechs Minuten vorgeht, muss es nach Adam Riese 22:21 gewesen sein. Ich stelle meine Uhren gern etwas vor, dann ist man immer pünktlich.« Erneut lächelte sie verschmitzt und wollte vielleicht ein Lob für ihre Cleverness. »Es wird also so gewesen sein, wie Sie sagten: 22:30 habe ich das Haus betreten. Plus minus.«
    »Und Ihnen ist wirklich nichts aufgefallen?«
    Sie schüttelte vehement den Kopf. Als sie bemerkte, dass seine Tasse leer war, schenkte sie nach, obwohl er eigentlich schon genug Kaffee intus hatte.
    »Aber nun sagen Sie mir endlich, wo Sie das viele Blut gefunden haben? Bei Hannekes?«
    »Hanneke?« Das waren Nachbarn aus der 508, sie wohnten direkt unter Lena. Mehr wusste Uplegger noch nicht.
    »Also da muss es öfter Mord und Totschlag geben«, erklärte sie, »im übertragenen Sinne gemeint. Man hört die Schreierei vielleicht nicht bis ganz oben, aber bestimmt im halben Haus. Und im Sommer, wenn man die Fenster offen hat … mein Gott!« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und dann sind sie wieder ein Herz und eine Seele, Schatz hier und Schatz dort! Wie man sagt: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Hat er sie … totgeschlagen?«
    »Können Sie sich das vorstellen?«
    »Wenn sie ihn mal wieder zur Weißglut gereizt hat? Irgendwann muss es soweit kommen.«
    »Nein«, sagte Uplegger, nahm die Tasse, drehte sie aber nur ein wenig in der Hand. Dabei spürte er, dass der Inhalt nicht mehr heiß war. »Es handelt sich um eine junge Frau über Hannekes. Lena Schultz aus Nummer 608.«
    Frau Nerdich wurde blass. Sie rief »Um Gotteswillen!«, während ihre Hände zu zittern begannen. Auch sie hatte nach ihrer Tasse gegriffen und konnte sie nur mit Mühe halten. »Die junge Frau, die bei der Wohnungsgenossenschaft arbeitet?«
    »Sie kennen sie?«
    »Ja, schon.« Die alte Dame atmete tief durch. »Ich war mal dort, in der Verwaltung, wegen eines Reparaturauftrags. Das ist jetzt wohl schon ein Jahr her. Da traf ich sie auf dem Flur; vom Sehen kannte ich sie ja bereits. Wir haben ein bisschen geklönt, und seitdem unterhalten wir uns, wenn wir uns im Fahrstuhl oder im Vestibül begegnen. Gott, ich kann es nicht glauben!« Heftig schüttelte sie den Kopf. Ihre Atemprobleme schienen zuzunehmen.
    »Worüber haben Sie gesprochen?«, wollte Uplegger wissen.
    »Ach, so dies und das. Nichts Weltbewegendes. Smalltalk nennt man das wohl. Ehrlich gesagt, ich erinnere mich an wenig Konkretes. Über das Wetter haben wir viel gesprochen. Seitdem es kaum noch Sommer gibt, reden die Leute noch mehr vom Wetter. Auch über ein paar Dinge, die das Haus betreffen. Reparaturen, laute Nachbarn und was man gegen sie machen kann – besser gesagt, nicht machen kann. Solche Angelegenheiten eben. Und …« Das kalkweiße Gesicht der Frau Nerdich färbte sich rötlich, und nun rang sie nach Atem. Tasse und Untertasse entglitten ihrer Hand, ein wenig Kaffee ergoss sich über ihren Rock und die Strümpfe. Uplegger sprang auf.

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