Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
jungen Leute heutzutage an digitalem Autismus? Hagner hatte nicht einmal eine Ahnung davon, dass er sich strafbar macht, wenn er sich als Kriminalbeamter ausgibt. Wer weiß, wie viele Identitäten er im Netz hat. Diese Leute wissen vielleicht irgendwann nicht mehr, wer sie sind. Dann bringen sie Leute um und erklären, sie seien es gar nicht gewesen, sondern … was weiß ich … Amrum 645.«
»Wieso Amrum?«
»Keine Ahnung. Äh, doch … in der Wochenendbeilage der OZ war ein Artikel über Amrum. Diese Reisereportagen werden immer langweiliger. Reine Tourismuswerbung – wahrscheinlich reisen die Journalisten nur noch nach Wikipedien. Na, egal. Strafbar oder nicht, irgendwie müssen wir Hagner ja dankbar sein für seine Initiative. Krieg ich die Tabelle?«
Uplegger startete seinen PC. »Sie wollen, dass ich mein Herrschaftswissen teile?«
»Nicht mit jedem. Nur mit mir.«
»Na, dann fang ich mal an.« Uplegger tippte etwas ein, schaute zum Bildschirm und dann zu ihr. »Sie haben öfter von der Stadtpolizei Basel gesprochen, kurz Stapo. Die gibt es aber gar nicht, sondern nur die Kantonspolizei Basel-Stadt, kurz Kapo.«
»Das weiß ich doch längst«, log Barbara.
»Das wissen Sie?« Uplegger machte eine Schippe. »Na, gut.« Er schob ihr das Blatt mit der Tabelle über die Schreibtische, die mit den Rücken zueinander standen. »Die Hannekes, die unter Lena wohnen und die sich laut Frau Nerdich ständig prügeln, stehen nicht drauf.« Wieder schaute er auf den Monitor, dann sagte er: » Basta bedeutet übrigens Heft- oder Steppnaht.«
»Bitte?«, fragte Barbara zerstreut. Sie erinnerte sich ihrer Frage nicht mehr, außerdem wurde ihre Aufmerksamkeit von der Liste beansprucht.
»Die spanische Vokabel basta steht für Heft- oder Steppnaht.«
»Das ist ja toll.« Barbara betrachtete den ersten Namen: Marcel Roszewski. Er wohnte im achten Stock des Waterkant -Hauses, in der 812, war 23 Jahre alt, mehrfach vorbestraft wegen Vornahme exhibitionistischer Handlungen vor Kindern, und er gehörte zu einer Trinkergruppe, die sich einigermaßen regelmäßig auf dem Lütten Kleiner Boulevard traf. Die Kollegen vom Revier hatten mehr gemacht, als nur das Bundeszentralregister zu konsultieren, oder sie kannten einfach ihre Pappenheimer.
Während sich Barbara der Tabelle widmete, scrollte Uplegger die von ihm aufgerufene Webseite nach oben – und wurde schamrot. Nicht nur, dass er ein Verb bastar fand, welches wie das italienische bastare »genügen« oder »reichen« bedeutete, es gab auch den Ausruf ¡Basta! : »Das genügt!« oder »Schluss! Aus! Ende!« Ganz genau wie im Italienischen, nur eben mit diesem umgedrehten Ausrufezeichen am Anfang.
War das peinlich! Hätte er doch nicht so vorschnell sein erstes Ergebnis preisgegeben. Aber es war geschehen. Seine neuen Erkenntnisse behielt Uplegger lieber für sich.
Und als Barbara daran erinnerte, jemand müsse die vom Schulleiter versprochene Liste mit Namen und Daten von Lenas Mitschülern abholen, meldete er sich freiwillig.
Es war ein spontaner Einfall, die Sekretärin des Schulcampus zu bitten, nicht nur die Namen der Mitschüler aus Lenas Klasse zusammenzustellen, was sie ja bereits getan hatte, sondern die des gesamten Jahrgangs. Sie zeigte sich keineswegs begeistert von diesem Ansinnen, und Uplegger musste erhebliche Mengen Charme einsetzen, um sie umzustimmen. Natürlich würde es eine geraume Zeit in Anspruch nehmen, seinem Wunsch zu entsprechen, also erbot er sich, im Lehrerzimmer zu warten; auch könne er der Frau Lindner noch die eine und andere Frage stellen. – Vielleicht war sein Einfall doch nicht ganz spontan.
Seit längerem war er der Überzeugung, dass er nichts dringender brauchte als eine Lebensgefährtin, die auf ihn aufpasste und ihn von unbedachten Schritten abhielt, Wahlen in irgendwelche Ehrenämter eingeschlossen. Er hatte lange stark um seine von einem Verkehrsrowdy getötete Frau getrauert. Als er irgendwann das Gefühl gehabt hatte, er werde an seiner Trauer zugrunde gehen, war er endlich über den Verlust hinweggekommen. Er war nicht darauf aus, eine neue Ehefrau zu finden, aber etwas Festes sollte es schon sein. Etwas für Herz, Seele und Körper: Uplegger war es auch leid, Liebe nur mit seiner Hand zu machen.
Im Lehrerzimmer befand sich ein halbes Dutzend Pauker, vier Frauen und zwei Männer, die sich unterhielten, mit Papieren befassten oder Kaffee tranken. Schon vom Anblick bekam Uplegger Sodbrennen. Ein Lehrer, der in seinem
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