Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
starb. An das Märchen vom dritten Herzinfarkt glauben wir doch beide nicht!
Seine Autobiografie ist erst 2003 posthum herausgekommen, als du schon weg warst. Dann liegt da Mayakreuz und rote Erde, Geheimnis im Urwald, Mexiko – Land der hundert Gesichter und (für viel dinero im Internet erworben!) Introducción a los glifos mayas: sistema de Mérida . Vor drei Wochen kam, bei eBay ersteigert, Tod in Haiti hinzu. Stimmt es, was er da schreibt, Papa? »Der Urwald ist ein Rauschgift. Wer ihn einmal erlebte, kommt nicht mehr los davon.« Bist du auch nicht von ihm losgekommen? Warum sonst bist du nicht zurückgekehrt?
Ach, ich werde traurig, aber das will ich nicht!!!
Ganz oben auf dem Bücherstapel liegt Eugen Paravicinis Reisen in den britischen Salomonen von 1931, wo er ausführlich über die Schädelhäuser berichtet. Das ist mein Neues Testament, wie dein Aufsatz mein Altes ist. Ich bin in Basel auf ihn gestoßen, da war er der erste bezahlte Kustos des Völkerkundemuseums. (Unter diesem Namen kennst du es noch. Seit 1996 heißt es Museum der Kulturen.) Bis zu vier Schädelskelette fand er in diesen Häusern, auf Korallensteinen gebettet. Das wäre doch auch was für die Alte und den Typen, ihre Schädel auf kleinen Steinen in einem Vogelhäuschen!
Heute sind sie wiedergekommen, wegen dem Wetter. Ihnen ist wohl fast die Bude weggeschwommen, da, am Labussee. Die Alte hat einen Schreikrampf gekriegt, als sie die auf einen Kürbis gezogene Gesichtshaut gesehen hat; ich hab das »Kunstwerk« ins Fenster gestellt und kann es von innen beleuchten. Klar hab ich gesagt, das ist extra für Halloween aus Pappmaché hergestellt, aber sie hat mir nicht geglaubt.
Im Basler Museum gibt es übrigens eine tolle aztekische Sitzfigur: Xipe Topec, in die Haut eines Opfers gehüllt. Wie wäre es, wenn ich der Alten die Haut des Typen und dem Typen die Haut der Alten überziehe?
A propósito: Ich beschäftige mich auch ein wenig mit dem Aztekischen, dem Nahuatl oder Mexicano. Mit dieser agglutinierenden Sprache kann man ellenlange Wörter bilden. Kleine & kurze Kostprobe?
Querido papá: Nimitzittaz. Wir werden uns sehen.
Dein Sohn Xipe Topec
PS: Der Tag des Blutopfers ist gekommen. Und ich werde in der Maske ihrer Haut durch die Straßen tanzen.
IV Odysseustag
Uplegger warf seiner Kollegin einen forschenden Blick zu, fand seine Befürchtungen vom Vorabend nicht bestätigt. Kurz nach 23 Uhr hatte sie ihn angerufen und sich entschuldigt: Sie sei noch einmal kurz ohne Handy an die Luft gegangen und habe, nach Hause zurückgekehrt, die Tagebücher gelesen und das Blinken des Anrufbeantworters zu spät bemerkt. Das war ihm glaubwürdig erschienen, denn ihre Zunge war nicht schwerer gewesen als sonst. Nur dass sie im Regen an die frische Luft gegangen war, passte nicht zu ihr. Ganz war sein Misstrauen nicht besänftigt.
Ansonsten sah man an den Papieren auf beiden Schreibtischen, dass wieder Odysseustag war.
Uplegger schmunzelte, dann wandte er sich dem Material zu, das er als E-Mail-Anhang erhalten hatte. In der kriminalpolizeilichen Arbeit galt es häufig, mehr oder weniger lange Listen abzuarbeiten. Vor ihm lag die Übersicht eines Versandhandels für Macheten, mit den Namen aller regionalen Kunden aus den letzten beiden Jahren. Allzu groß schien der Bedarf der Mecklenburger und Vorpommern an Buschmessern nicht zu sein, und unter den 31 versandten Macheten befanden sich nur sieben Gerber Gator . Nach Rostock war davon nicht eine gegangen.
Uplegger beschloss, den Zeitrahmen zu erweitern und auch ältere Kunden zu überprüfen. Er sah zu seiner Kollegin, die sogar zwei Verzeichnisse vor sich liegen hatte. Irgendwann vor vielleicht zwei oder drei Jahren hatte Uplegger in einer ähnlichen Situation zu ihr gesagt, man könne getrost von einem Tag der Listen sprechen. Woraufhin sie gefragt hatte, was er damit meine: Datensammlungen oder Finten? Tricks wie die des listenreichen Odysseus, der ja bestimmt keine Tabellen bei sich getragen hätte? Barbara hatte oft krude Assoziationen. Jedenfalls war damals für einen Tag, an dem es viele Aufstellungen zu bearbeiten galt, der Name Odysseustag geboren worden.
Uplegger erhob sich und trat an den Schrank, in dem das Druckerpapier vor Nässe geschützt wurde. Um die 30 Blatt legte er in den altersschwachen Drucker.
»Wollen Sie Ihre Memoiren ausdrucken?«
»Dazu reichen so wenige Blätter nicht. Nee, das Guatemala-Reisetagebuch des Ostseegymnasiums.«
Barbara seufzte. Allein
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