Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
kennen und vergewaltigte sie auf dem Wall. Schon am Abend nach der Tat stand die Kripo vor seiner Tür. Nach einer erneuten Verurteilung wurde er 1993 aus der Haft entlassen, seitdem lag nichts mehr gegen ihn vor.
Barbara führte den Mann in VR 2. Groenewald hatte volles, lockiges und graumeliertes Haar, und da er den Kragen seines rosafarbenen Hemdes offen trug, sah man die noch schwarze Brustwolle. Ein Goldkettchen baumelte um seinen Hals, und auch seine Uhr sah golden aus. Er trug eine schwarze Hose und glänzende schwarze Schuhe sowie ein helles kariertes Sakko mit einem rosa Einstecktuch. Das schwere Parfüm, mit dem er anscheinend weibliche Walrösser bezirzen wollte, reizte Barbaras durch jahrelangen Schnapskonsum geschädigten Hals, und sie musste husten. Trotz der feuchten Kälte öffnete sie einen Fensterflügel sehr vorsichtig, weil es vorgekommen war, dass Kollegen plötzlich das Fenster in der Hand hielten.
Auf dem Tisch hatte Barbara nur eine Mappe. Auch ein Aufnahmegerät stand bereit. Sie setzte sich und las die Zeugenbelehrung vor, dann fragte sie ihn, ob er mit einer Tonaufzeichnung einverstanden sei. Groenewald stimmte zu und unterschrieb das Formblatt, nachdem sie es in ihrer fast unleserlichen Schrift ausgefüllt hatte.
»Ich habe Ihnen gesagt, worum es geht«, begann sie das Verhör, »aber sicher hat sich die Sache auch herumgesprochen …«
»Nee, das hat sie nicht. Ich habe wenig Kontakt zur Nachbarschaft. Aber ich weiß trotzdem Bescheid, es stand ja in der Zeitung.«
»Ah, ja. Kennen Sie die junge Frau?«
»Nee. Also vielleicht vom Sehen, so auf der Straße. Haben Sie ein Bild?«
Barbara glaubte, aus seiner Frage eine gewisse Gier herauszuhören, aber vielleicht täuschte sie sich. Oder es war nur Neugier. Jedenfalls nahm sie ein Foto von Lena aus der Mappe und hielt es ihm vor. Er zuckte mit den Schultern.
»Kann sein. Beim Einkaufen im Marktkauf oder so. Manchmal gehe ich auch zu Penny in der Rigaer. Da könnte ich ihr begegnet sein. Aber bewusst ist es mir nicht.«
»Herr Groenewald, achten Sie auf junge Frauen?«
Er lächelte verständnisvoll und auch ein wenig von oben herab. »Ich bin über 50 – das ist das Alter, in dem sich Männer normalerweise eine mindestens 20 Jahre jüngere Geliebte nehmen. Klar dreh ich mich nach jungen Mädels um. Aber eine solche Geliebte habe ich nicht. Gar keine Geliebte!« Er seufzte gekünstelt.
»Sie hätten gerne eine?«
»Ja. Was zum Kuscheln für den Lebensabend.«
»Lebensabend, herrjemine! Sie sind 54, Herr Groenewald, da ist der Lebensabend … Sie müssen noch elf Jahre arbeiten, oder?«
»Trotzdem werde ich nicht die volle Punktzahl erreichen, wegen der Jahre im Bau.« Wieder seufzte er theatralisch. Laut Akten hatte Groenewald sofort nach seiner ersten Verhaftung auch seine Berufszulassung verloren, denn ein Mensch wie er konnte nicht als Schornsteinfeger arbeiten, so jedenfalls dachten die DDR-Verantwortlichen. Nach der Wende hatte er sich auf Jobsuche begeben, lange Zeit nur kurze Hilfstätigkeiten bei modernen Sklavenhändlern gefunden und war immer wieder monatelang arbeitslos gewesen, bis er schließlich 2008 eine feste Anstellung beim Bahnbetriebswerk Rostock-Seehafen fand, wo er es inzwischen zum Zugvorbereiter gebracht hatte. Barbara hatte keine Vorstellung vom Alltag eines Zugvorbereiters, aber der interessierte sie auch nicht sehr; viel bedeutsamer fand sie die Nähe dieses Arbeitsplatzes zur RABA. Vielleicht kannte er die dortigen Abläufe, war er sogar beim Tag der Offenen Tür gewesen? Aber hätte ihm das von Nutzen sein können? Die Nähe war vielleicht doch eher etwas Symbolisches …
»Ein Kollege von uns hat bereits mit Ihnen gesprochen«, sagte sie, »aber ich würde gern noch einmal jenen Abend mit Ihnen durchgehen. Mussten Sie arbeiten?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich arbeite Schicht und habe nach einem Zyklus manchmal zwei Wochentage hintereinander frei.«
»Also hatten Sie frei?«
»Ja.«
»Und was haben Sie gemacht?«
»Abends? Gelesen.«
»Den ganzen Abend?«
»Nein. Ich habe erst eine Sendung über Frösche gesehen, die um 19:30 Uhr begann und um 20:15 Uhr endete. Dann habe ich mir ein Buch vorgenommen, dass ich im Marktkauf auf so’m Grabbeltisch gefunden habe. Der Titel ist Glücksbringer. Schornsteinfeger, Schweine, Talismane . Mich hat zwar gestört, dass nach den Schornsteinfegern die Schweine stehen, aber es hat mich natürlich interessiert. Doch da stehen nur Sachen drin, die man schon
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