Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
wollte. Laut Werbung war er nun im Besitz der größten Kunstsammlung, die man kaufen kann, aber Besitzerstolz wollte sich nicht einstellen. Einiges würde ihn gewiss an seine Frau erinnern, El Greco zum Beispiel oder van Gogh, und er wollte doch lieber an diese Lehrerin denken, an Kerstin …
Uplegger startete Internet und Suchmaschine und gab Silastik ein, um wenigstens die Dampframme am nächsten Morgen glücklich zu machen. Zugleich durchwühlte er den Stapel der Zeitschrift für Angewandte und Kriminalpsychologie , der neben seinem Schreibtisch in einem Regal aus weiß lackierten Brettern und Metallstangen lag, eigentlich ein Badmöbel, das aber auch im Arbeitszimmer gut aussah. Er blätterte im obersten Heft das Jahres-Inhaltsverzeichnis auf und fand in der Ausgabe Mai/Juni den Aufsatz Die LGBT-Community und ihr Risikopotenzial aus psychologischer, pathogenetischer sowie kriminalistischer Sicht , den ein Doktorand des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen verfasst hatte. Uplegger suchte nach den spezifischen Begriffen der Community. Die Abkürzung kannte er schon: LGBT stand für Lesbian, Gays, Bi, Transgender. Also doch Transgender statt Transsexuelle, was als Reduktion der Person aufs Geschlechtliche empfunden wurde? Nein, da gab es noch ein anderes Wort.
Er musste den Text nur überfliegen, bis er es fand: Trans*. Es gab Trans*menschen und Trans*rolemodels, die Transgender hatten es im Gegensatz zur Agenda-21-Schule in Evershagen nur zu einem Stern gebracht.
Uplegger schüttelte den Kopf. Wie mochte sich ein Trans*-mensch an einer Agenda 21-Schule*** fühlen? Zusammen brachten sie vier Sterne auf die Waage! Es war nicht zu fassen.
Bevor er weiter nachdenken konnte, rief ihn das Telefon. Er zögerte nicht, als er feststellte, dass Gunnar Wendel nach ihm verlangte. Er fragte sich allerdings, warum der Chef ihn und nicht Barbara anrief, wie Wendel das üblicherweise tat, weil sie sich viel länger kannten.
Fünf Sekunden später wusste er, warum. Die Dampframme ging nicht an den Apparat. Bei einer laufenden Ermittlung war das ungewöhnlich. Oder gar ein Anlass zur Sorge?
Barbara hatte mit sich einen Kompromiss ausgehandelt: Sie hatte an einem Spätverkauf zwei Büchsen Bier und einen Flachmann gekauft und sich geschworen, dass es dabei bleiben solle. Schon nach dem ersten Bier fühlte sie sich wohler. Das Gedankenkarussell war nicht zum Stillstand gekommen, aber es drehte sich gemächlicher. Außerdem hatte sie die Suche nach dem alten Spanischbuch aufgegeben und widmete sich den Tagebüchern der Lena Schultz, auf die sie sich zu konzentrieren wünschte. Sie hatte sich ermahnt, keine Gedanken zu verschwenden an Vladimiro, an Betonungsregeln oder an verschollene Wissenschaftler, und die Tagebücher halfen ihr dabei: Wider Erwarten handelte es sich um eine fesselnde Lektüre.
Lena Schultz hatte kaum etwas aus ihrem Alltag vermerkt, nur hin und wieder ließ sie durchblicken, dass sie die Arbeit bei der Wohnungsgesellschaft nicht befriedigte. Die Auftragsbearbeitung sei todlangweilig, die Kolleginnen spießig, sie redeten immer nur von ihren todlangweiligen Familien oder zogen über andere spießige Kollegen her, allenfalls das Thema Krankheiten errege in ihnen eine gewisse Leidenschaft.
Barbara verstand natürlich, dass die Reparaturauftragsbearbeitung einen jungen Menschen mit Ambitionen unmöglich zufrieden stellen konnte, auch wenn der damit verbundene Arbeitsplatz halbwegs sicher war. Lena Schultz jedenfalls wollte nach den Sternen greifen. Wie fast alle Menschen, die dies vorhatten, hatte auch sie bereits die Erfahrung gemacht, dass ihre Arme dafür zu kurz waren, aber sie wollte keineswegs aufgeben, also hatte sie sich bei mehreren privaten Schauspielschulen beworben; zu Barbaras Überraschung gab es diese offenbar wie Sand am Meer. Lena stand auch einer Musicalausbildung aufgeschlossen gegenüber, schließlich wollte sie ja eventuell auch Sängerin werden und natürlich ein Superstar. Was die Schauspielkunst betraf, schwärmte sie für Angelina Jolie. Ihre Kenntnisse waren von Leinwand und Flimmerkiste geprägt, Theaterdarsteller kannte sie anscheinend nicht, und es deutete auch nichts darauf hin, dass sie jemals in ein Schauspielhaus gegangen war. Vielleicht war ihr das Rostocker Volkstheater zu drittklassig, aber wahrscheinlicher war, dass sie das Bühnenspiel gar nicht auf dem Schirm und die Theaterrollen nur einstudiert hatte, weil die Schulen es verlangten. Sie wollte ein Kino-
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