Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Bolero dagegen hatte einen weicheren, sanfteren Geschmack, und billete war ganz und gar … ja wie?
Barbara glaubte über synästhetische Sinneswahrnehmungen zu verfügen, wie es in der Sprache der Psychologin Grünberg, aber wohl auch in der Sprache der Kunst hieß, auch wenn Uplegger ihr nicht abnahm, dass sie Worte schmecken konnte, so wie mancher Maler Musik malte. Billete also … nein, es hatte momentan keinen Geschmack. Bekam sie Schnupfen? Aber dann würde doch boleto nicht herb schmecken.
Sie würde sich vielleicht die Akten in der Sache Dr. Laube kommen lassen, und der Originaltitel des Romans war Hombres de Maíz , Akzent auf dem I. In Barbaras DDR-Ausgabe wurde er Maismänner übersetzt, nicht Maismenschen , was ebenso möglich gewesen wäre. Ein Ausdruck der patriarchalischen Verhältnisse in der DDR?
Barbara grinste in sich hinein und schlug das Buch auf. Irgendwie hatte sie von diesem Laube doch schon mal gehört.
Wieso ein Akut auf dem I? Das hatte etwas mit den Betonungsregeln für Diphtonge zu tun …
Der erste Satz war ein gesprochener: »Gaspar Ilóm lässt es geschehen, das man der Erde Ilóms den Schlaf aus den Augen stiehlt …«
Wer sagte das? Und dann war ein Akzent auf dem O. Wörter, die auf Konsonant enden, außer auf n oder s, sind endbetont – war das nicht so? Wieso dann ein Akzent bei einem Wort, das mit M endet? Wo war der Kopf des Opfers?
Der zweite Satz: »Gaspar Ilóm lässt es geschehen, dass man der Erde Ilóms mit Äxten die Lider aufreißt …«
Wirklich und wahrhaftig: Das verstand kein Mensch. Die Erde Ilóms? Die Erde Ilions vielleicht, das sagte ihr etwas, damit war Troja gemeint – aber Ilóm? Das war eine Person … Gaspar Ilóm … und die Erde, tierra de Ilóm müsste es auf Spanisch sein, war das sein Acker?
Der Kopf, warum hat der Täter den Kopf nicht in den Müll geworfen? Sammelte er Trophäen? Wurde das M bei Ilóm wie ein N ausgesprochen? Nein, das gab es nur umgekehrt, also dass das N wie ein M ausgesprochen wurde … wie bei tranvía , mit einem Scheißakzent auf dem I … Vielleicht gab es noch andere Fälle mit abgeschlagenen und dann abhanden gekommenen Frauenköpfen. Ganz bestimmt gab es die. Man würde es prüfen müssen …
In Barbaras Kopf schwirrte alles durcheinander, und sie stellte das Buch schnell zurück. Nein, das würde sie nicht lesen. Nicht heute Abend, vielleicht nie. Sie hatte schon Kopfschmerzen von all dem Denken und Assoziieren und Synästhetisieren und weiß der Teufel noch …
Dann stieß sie auf Montalbáns Roman Requiem für einen Genießer , an den sie unlängst gedacht hatte – in welchem Zusammenhang? Ach ja, Morbacher hatte davon erzählt, er hatte mit seinem Kumpel reisen wollen wie dieser Pepe … Pepe Sowieso. Sie zog das Buch aus dem Regal. Es war tatsächlich ein Mängelexemplar, ein ungelesenes. Wahllos schlug sie eine Seite auf, den Beginn eines neuen, namenlosen Kapitels: »Nach der langen Reise von Ushuaia zum Flughafen Jorge Newbery in Buenos Airos – dreitausendzweihundert Kilometer ohne eine andere Verpflegung als saure Drops …«
Saure Drops! Das durfte doch nicht wahr sein! Seit Christi Geburt sollte Uplegger herauskriegen, ob es sie noch gab, diese Dropsrollen in Papier, das an den Bonbons backte. Gott, worauf stieß sie nur. Wollte man sie verrückt machen? Bekam sie Paranoia?
Ein Dämpfungsmittel war vonnöten. Ein Königreich für ein den Kopfschmerz vertreibendes Dämpfungsmittel. Ein Reich für den König Alkohol …
Uplegger war allein zu Hause. Obwohl der Kantor seinem Sohn auch nach dem Stimmbruch Talent bescheinigt hatte, war Marvin aus dem Kirchenchor ausgetreten. Fußball spielte er immer noch, ohne dass er auf diesem Feld mit der Gnade besonderen Könnens ausgezeichnet war. Trotzdem hatte Uplegger diese Entscheidung gebilligt, denn er hielt es für gesund, dass sein Junge sich auf dem Rasen austobte. An diesem Abend war Training, Marvin würde nicht vor zehn heimkommen. Sein Vater hatte also sturmfrei.
Nur wenige Minuten nach Barbara hatte auch er die Dienststelle verlassen. Er hatte ein frugales Mahl verzehrt, bestehend aus Vollkornbrot, Frischkäse und Salami, hergestellt aus Glukosesirup, Natriumascorbat, Natriumnitrit, Fettaugen und etwas Fleisch, dazu ein Bier getrunken, und nun saß er am heimischen PC und konnte sich nicht entscheiden. Bei einer Billigbuchkette hatte er unlängst eine DVD 40000 Meisterwerke. Malerei. Zeichnung. Grafik erworben, die er schon seit Tagen anschauen
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