Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
den Wagen, nicht nur mit Rücksicht auf Barbaras Schwergewichtigkeit, sondern auch, weil aus dem Nieseln längst ein richtiger Regen geworden war.
»Was meinen Sie, gibt es asexuelle Dominas?«, fragte Barbara, als sie an der Bushaltestelle Schmarl Zentrum vorbeifuhren.
»Warum nicht? Um einen Job zu erledigen, muss man nicht sexuell engagiert sein.« Er schmunzelte. »Wie man ja auch bei der Polizeiarbeit sieht.«
»Ah, Upleggerscher Witz!« Barbara betrachtete die durch den Regen eilenden Schmarler und befand, dass sie wie Menschen aussähen. »Aber es stimmt wohl, Lena tat’s für Geld und weniger aus Vergnügen. Da mehrere staatliche Schauspielschulen sie abgelehnt hatten, sollte es eben eine private sein. Und irgendeine, die für Geld sogar völlig Talentfreie ausbildet, hätte sie bestimmt gefunden.«
»Wieso talentfrei?« Uplegger lenkte nach rechts. »Ich finde, beim Spiel mit verschiedenen Identitäten bewies sie einiges Geschick.«
»Finden Sie es geschickt zu sterben?«
»Sie müssen auch immer, immer, immer das letzte Wort haben.« Uplegger fuhr in die Innentasche seiner Jacke, beförderte einen zusammengefalteten Zettel ans Tageslicht und reichte ihn ihr. »Das ist mein letztes Wort.«
Barbara glättete das Blatt und las schlechtes Deutsch:
SILASTIC® ist ein 100%iger Fluorsilikon-Kautschuk sowie ein komplett fluoriertes, spritzgießfähiges 2-Komponenten Elastomer und ermöglicht neben Flexibilität in Design auch vielseitige Einsatzmöglichkeiten in der Produktionstechnologie. SILASTIC® F-LSR – der Durchbruch im Bereich Elastomere ist ab sofort verfügbar und eignet sich für die Massenproduktion, wie auch für kleine komplizierte Teile, die strenge Anforderungskriterien erfüllen müssen.
»Jonas, Sie sind ein echter Schatz!«, rief sie voll falschem Pathos. Und er, der zu seinem Leidwesen zu leicht errötete, wurde rot.
Bei Familie Kruse hatten sie Glück. Außer der Mutter war auch Lenas ehemalige Klassenkameradin selbst daheim. Nicht weil sie sich studienfreie Tage gönnte, sondern weil sie mit dem Studium aufgehört hatte: Am Besamen von Kühen war sie gescheitert. Barbara konnte sich vorstellen, dass es vielen Mädchen so erging, die Tierärztin werden wollten und dabei immer nur an die Kleintierpraxis mit kuscheligen Katzen, Hunden und Piepmätzen dachten.
Annalena Kruse war ein hübsches Mädchen, mittelgroß und schlank, mit flachsblondem Haar und grünen Augen, deutlich erkennbar das Erbteil der Mutter. Die brachte Kaffee und Gebäck ins Wohnzimmer, das in Zuschnitt, Couchgarnitur und Schrankwand kaum von anderen in den Rostocker Neubaugebieten abwich.
»Sie kommen wegen Lena?«, fragte die Tochter fast im Ton einer Feststellung, nachdem alle Platz genommen hatten.
»Woher wissen Sie das?« Uplegger konnte keinen Kaffee mehr sehen oder auch nur riechen.
»Ich war gestern in der Kröpi shoppen und hab eine frühere Mitschülerin vom OG getroffen, aus einer Parallelklasse. Es war ziemlich peinlich, weil ich ihren Namen nicht wusste. Sie hat mir davon erzählt.«
»Und woher wusste sie es?«
Annalena zuckte mit den Achseln. »So etwas spricht sich herum.«
»Haben Sie noch regelmäßigen Kontakt zu ehemaligen Mitschülern?«
»Nein. Am letzten Schultag haben wir uns sonst was versprochen. Aber kaum war die Schule vorbei: Aus den Augen, aus dem Sinn. Anfangs hat man noch mit paar Leuten telefoniert oder gesimst, aber das war alles ganz schnell vorbei. Und ich war dann ja auch in Hannover.«
»Und Lena? Sie war immerhin Ihre beste Freundin …«
»Ja«, Annalena dehnte das Wort, »kann man das sagen? Wir sind uns gleich am ersten Schultag nähergekommen, weil sie Lena heißt und ich auch, bloß mit einem Anna davor.« Sie lächelte flüchtig. »Wir waren auch oft zusammen, das schon. Aber eine richtige Freundin, mit der man alle Geheimnisse teilt? Fehlanzeige.«
»Hatte Lena denn Geheimnisse?«, schaltete sich Barbara ein.
»Sie war ein einziges Geheimnis, sozusagen von Kopf bis Fuß. Sie hat wenig von sich gesprochen, und alle haben sie für eine graue Maus gehalten, die sich nicht für Jungs interessiert … die sich eigentlich für gar nichts interessiert, also eine totale Langweilerin. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass bei ihr der Spruch zutrifft, dass stille Wasser tief sind. Und schmutzig.«
Wieder Uplegger: »Wussten Sie, dass Lena gern Schauspielerin oder Sängerin geworden wäre? Also auf jeden Fall etwas Künstlerisches?«
»Das wusste ich. Und da war ich
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