Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
konnte, hatten er und Barbara überlegt, ob man nicht sicherheitshalber einen Zeugen hinzuziehen sollte. Da die Yılmaz’ die »Hurenwohnung« unter keinen Umständen betreten wollten, hatte Uplegger mit Blick auf § 105 Abs. 2 Flegel herbeizitiert, mit dem sie schon das eine oder andere Modelapartment durchsucht hatten.
Obwohl die Wohnungstür offenstand, wirkte der Flur düster. Barbara suchte nach einem Schalter. Als das Licht aufflammte, erhellte es die Ursache: Wände und Decken des schmalen Flurs waren karmesinrot gestrichen, rot war auch der Lampenschirm, sodass man den Eindruck hatte, ein Aquarium zu betreten, eines mit rötlichem statt grünlichem Schimmer. Ansonsten enthielt der Flur nichts Überraschendes.
Vier Türen gingen von ihm ab. Barbara öffnete gleich die erste rechts, und ein lichtes Zimmer kam zum Vorschein. Seine Funktion war schwer einzuschätzen: Auf einer Liege ohne Lehne häuften sich Kuscheltiere und Puppen, auch der dunkelgraue Teppichboden war mit Tieren aus Plüsch übersät, Hunde, Bären, Löwen, Kleinkatzen, Krokodile in nahezu allen Farben, dazu ein grün-gelber Dinosaurier in der Lebensgröße eines Vorschulkindes. Als Kontrast dazu verbreiteten Schränke aus weißlackiertem Sperrholz und poliertem Aluminiumgestänge Badezimmercharme, und der Buchenfurnierschreibtisch vor dem Fenster sprach wieder eine andere Sprache. Neben einem Monitor älteren Fabrikats »mit Enten-arsch« und der Tastatur versammelten sich auf ihm diverse Puppen beiderlei Geschlechts und ein paar kleine Tiere aus Hartgummi, die man in der Hand verbergen konnte. Zudem zwei Bücher: Der kleine Igel und seine Freunde und Der kleine Drache Kokosnuss reist in die Steinzeit . Neben dem Tisch stand ein dreigeschossiges Puppenhaus mit Spitzdach, wie Barbara es vor vielleicht 45 Jahren gern gehabt hätte.
Uplegger trat zum Fenster und sah den Park, die Warnow und den Hafen.
Herr Flegel stand etwas ratlos da, wohl weil es hier so gar nicht nach Prostitution aussah. Im gegenüberliegenden Zimmer auf der Hofseite änderte das Bild sich schlagartig: Hier waren die Wände schwarz, die Decke rot, ein paar nach oben gerichtete Wandstrahler spendeten indirektes Licht. Dieses fiel auf ein breites Metallbett, auf einen hochlehnigen Sessel, auf diverse Ketten, Kabel und Klistiere, auf Peitschen, Ruten und Gerten, die griffbereit auf einem Tisch lagen, teils auch an der Wand hingen. An den Streben am Kopf- und Fußende des Bettes waren Handschellen befestigt, ebenso an den Armlehnen des Sessels. Nur eine nackte Matratze lag auf dem Bett. Selbst in dem schummrigen Licht war zu erkennen, dass sie nicht sehr sauber war.
Herr Flegel bekam Augen wie Teetassen. »Was ist denn das?«
»Die Wohnung, meinen Sie?« Barbara betrachtete eine Foltermaske aus Leder, die vielleicht dem Lustgewinn diente, doch gewiss auch dem Lärmschutz. »Eine Mischung aus S/M-Studio und Kinderzimmer, denke ich.«
»Lena hat die Frage Diseuse oder Domina ziemlich eindeutig entschieden«, folgerte Uplegger.
»Wer weiß.« Barbara deutete mit einer Handbewegung an, dass man sich zurückziehen müsse, um das Spurenbild nicht zu verfälschen. »Vielleicht führt der Weg zu den Gipfeln der Diseuse durch das Tal der Domina.«
Flegel fragte: »Wie meinen Sie das? Und was ist eine Diseuse?«
Barbara winkte ab. Was sie sagte, war nicht für das Verständnis des Ordnungsamtsmitarbeiters bestimmt. Sie öffnete eine weitere Tür, hinter der sich das Bad befand, das auf den ersten Blick nichts Bemerkenswertes enthielt. Schließlich fanden sie die Küche. Auch sie lag auf der Seite mit der schönen Aussicht und war trotz des Nieselregens, der den Tag beherrschte, ziemlich freundlich, was zweifellos dem weißen Wandanstrich und den hellen Möbeln zu verdanken war. Sie war sehr sauber, nichts deutete darauf hin, dass hier mehr getan wurde, als gelegentlich einen Kaffee zu kochen.
Vor dem Fenster stand ein Tisch, vor diesem wiederum nur ein Stuhl: Die Kunden waren vermutlich gleich ins Studio geführt worden, ohne etwas anderes von der Wohnung zu sehen zu bekommen. Auf dem Tisch stand eine Kaffeetasse mit der Aufschrift I love N.Y.C. , die eingetrockneten Grund enthielt, außerdem lagen ein paar Bleistifte herum. Neben einem Flechtkorb, der einen Schlüssel, ein Schreiben der WG Schmarler Bach sowie zuckerfreie Kaugummis enthielt, lag ein überschaubarer Bücherstapel. Ein dicker Band mit blauem Umschlag, erschienen in einer WVG Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
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