Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Südamerika. Ich glaube, der hat sogar sowas studiert.«
»Lateinamerikanistik?«
»Ja.« Die junge Frau schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Mann, Alter, der war sogar ein Kollege ihrer Mutter!«
***
Durch einen Wolkenbruch am Rande des Weltuntergangs fuhren sie nach Lütten Klein. Barbara telefonierte mit dem Direktor des Schulcampus Evershagen. Ihr Interesse galt nun einem Schüler namens Laube, Sohn eines verschollenen Lateinamerikanisten und laut Upleggers Behauptung mit dem Vornamen Uwe bestückt; sie selbst konnte sich nicht mehr erinnern. Das Wühlen in den alten Akten dauerte, und sie hatten das mittlere Hochhaus fast erreicht, als sie erfuhren, Uwe Laube habe das Abitur am Ostseegymnasium zwei Jahre vor Lena Schultz abgelegt und zum Zeitpunkt seines Schulbesuchs in Groß Klein Dorf gewohnt.
Als sie kurze Zeit später bei Christian Drewniok klingelten, öffnete niemand. Barbara hatte noch eine andere Idee. Da Groenewald im selben Haus wohne, könne man doch ein kleines Experiment veranstalten: Sie würde in die Rolle der Lena Schultz schlüpfen, und Uplegger solle doch mal schauen, was er durch das Fernglas alles zu sehen bekäme, wenn er es auf Lenas Wohnung anlege.
Uplegger fand die Idee nicht übel. Barbara war das zu wenig, sie hatte mit »genial« gerechnet, aber sie sagte nichts. Um ihren nicht üblen, respektive genialen Plan umzusetzen, musste wenigstens eine Voraussetzung erfüllt sein, nämlich dass sich Groenewald in seiner Wohnung aufhielt und dass er Uplegger gegebenenfalls überhaupt einließ. Denn irgendeine rechtliche Handhabe, sich gegen seinen Widerstand Zutritt zu verschaffen, gab es momentan nicht.
Jonas läutete am Klingelbrett, Groenewald meldete sich. Er betätigte auch den Türöffner, ohne dass ihm mitgeteilt worden war, was die Kripo noch von ihm wolle. Barbara lief wie um ihr Leben zum Waterkant -Hochhaus, aber sie wurde trotzdem ziemlich nass. Ihre Lunge pfiff wie bei einem Kettenraucher, der sich als Sprinter versucht hatte, und es brauchte mindestens zwei Minuten, bis sie wieder zu Atem kam. Mit dem Sesam-öffne-dich namens Dienstausweis verschaffte sie sich Zugang, sie ließ sich vom Pförtner, einem männlichen Wachschützer diesmal, den Generalschlüssel aushändigen und fuhr mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Aus der Wohnung von Morbacher und Güntzel war Musik zu hören, Tracy Chapman schmetterte ihren A-capella-Song Behind the wall durch die Wand. Barbara wunderte sich darüber, gehörte Chapman doch eher zu ihrer eigenen Generation.
Last night I heard the screaming
Loud voices behind the wall
Another sleepless night for me
It won’t do no good to call
The police always come late
If they come at all
Barbara beseitigte das polizeiliche Siegel, schloss Lenas Wohnungstür auf und ging hinein. Ein eigenartig dumpfer, leicht metallischer Geruch schlug ihr im halbdunklen Flur entgegen, ein Geruch mit einer leichten Schlachthofnote, allerdings roch es auch nach verdorbenem Obst. Schreie hatte in der Tatnacht niemand gehört. Und dass die Polizei zu spät gekommen war, lag nicht an ihr.
And when they arrive
They say they can’t interfere
With domestic affairs
Between a man and his wife
And as they walk out the door
The tears well up in her eyes
Barbara schloss die Tür und machte Licht. Sofort sah sie die vielen Blutspuren, die noch nicht beseitigt worden waren. Sie musste keine Plastiküberschuhe mehr tragen, aber Handschuhe zog sie sicherheitshalber an. Dann ging sie ins Wohnzimmer. Auch hier schaltete sie das Licht ein und spielte Mieterin.
Der Regen rauschte und klopfte gegen die Fenster. Sein Geräusch wurde übertönt von der lauten Musik, die zu anderen Zeiten wohl einen Beschwerdegrund darstellen würde.
Last night I heard the screaming
Then a silence that chilled my soul
I prayed that I was dreaming
When I saw the ambulance in the road
And the policeman said
»I’m here to keep the peace
Will the crowd disperse
I think we all could use some sleep«.
Lena Schultz hatte eine Ambulanz nicht mehr gebraucht. Und Schlaf würde sie nie mehr benötigen.
Volker Groenewald war alles andere als begeistert von Upleggers Aktion, aber er duldete sie. Das Wohnzimmer mit Blick auf das Waterkant -Haus verbreitete mit seinen zeitlos altmodischen Einrichtungsgegenständen wie Anrichte, Vertiko, Ottomane und Kronleuchter einen altjüngferlichen Charme. Groenewald, der Upleggers fragenden Blick bemerkte, erklärte, die Möbel stammten
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