Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Gummiband, der darunter liegende Umschlag trug einen Stempel des Max-Reinhardt-Seminars Wien. Zunächst aber interessierte sie sich für das Schreiben aus Eckernförde, dem sie entnahm, dass Baltic Sea International Campus eine projektorientierte Weiterbildung zum Gesang-Tanz-Schauspiel-Trainer anbot. In Eckernförde! Für Barbara war das Liestal an der Ostsee …
Lena war zu einem Eignungsgespräch eingeladen worden, der Termin lag drei Wochen zurück. Ob sie ihn wahrgenommen hatte? – Aus dem zweiten Schreiben ergab sich, dass das Max-Reinhardt-Seminar eine Ausbildungsstätte für die darstellenden Künste war und dass Lena an einer Zulassungsprüfung teilgenommen haben musste. Immerhin in Wien, was bedeuten konnte, dass Barbara mit der Vermutung, Lena habe den Nebenverdienst als Domina für Bewerbung und Ausbildung gebraucht, richtig lag. Lena war abgelehnt worden.
Barbara legte die Briefe zurück und widmete sich den Tagebüchern. Während sie Band I aufschlug, hörte Uplegger den Anrufbeantworter ab.
Der Ansagetext wurde durch einen Peitschenknall eingeleitet, dem folgte mit tiefer, aber durchaus als weiblich zu erkennender Stimme »Du hast die Nummer von Domina Sarah gewählt. Wenn du mir deine Nummer hinterlässt, werde ich dich eines Tages ins Dark Paradise rufen. Warte auf meine Befehle! Sei zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit! Sprich jetzt!« Der sogenannte Signalton war kein Peitschenknall, sondern das übliche Piepen, das sich vielleicht nicht ändern ließ, oder zumindest hatte Lena nicht gewusst, wie man es machte. Ein Peitschenknall wäre allerdings eine würdige Überleitung gewesen zu dem, was nun kam, zu dem geilen Röcheln und den gestöhnten Worten: »Ich bin dein Sklave Peter. Ich kann immer. Bitte, bitte, ich flehe dich an … bald, bitte, bald … Ich liege dir zu Füßen. Ich liege schon jetzt …« Das Band war zu Ende. Sklave Peter hatte noch einmal anrufen müssen. Seine Rufnummer sprach er in recht sachlichem Ton auf, aber es ging ja auch um ein Geschäft.
Insgesamt drei potenzielle Sklaven hatten angerufen. Sie würden sich zweifellos wundern, wenn sie einen Rückruf der Kriminalpolizei erhielten …
Die Tagebücher enthielten Einträge zu jedem Kunden und bewiesen, dass die ehemalige Kauffrau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft buchhalterische Fähigkeiten erworben hatte und Tabellen mochte, in Barbaras Augen ein liebenswertes Charakteristikum. Allerdings waren die Angaben verschlüsselt: Statt der Namen erschienen Bezeichnungen, die sich auf besondere Merkmale und Eigenschaften bezogen, wie Messernarbe, Aknefreak, Muttisöhnchen oder Labertasche . In einer Spalte der Tabelle waren die sexuellen Vorlieben eingetragen, in Form von Kürzeln, was Barbara bedauern ließ, dass der Hurenfachmann vom Ordnungsamt schon fort war. Einige kannte sie, wie NS, was Natursekt bedeutete und zeigte, dass Muttisöhnchen feuchte Spiele mit Urin liebte. Barbara bekam einen Kloß in den Hals. Sie behauptete von sich gern, ihr sei nichts Menschliches fremd, aber wie bei allen, die das von sich sagten, stimmte es nicht.
Eine letzte Spalte enthielt Nummern, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Telefon- bzw. überwiegend Handynummern waren. Durch sie wurde die Verschlüsselung der Namen quasi rückgängig gemacht, wobei natürlich klar war, dass Lena das Tagebuch nicht für die Polizei geführt hatte. Immerhin hatte sie aber dafür gesorgt, dass sie bis zu einem gewissen Grad die Kontrolle über ihre Kunden behielt, indem sie diese zwang, ihre Rufnummern preiszugeben. Und vielleicht hatte sie auch eine Wahl treffen, nicht jeden befriedigen, nicht alle Wünsche nach Erniedrigung, Qual und Schmutz erfüllen wollen.
Vielleicht befand sich unter den notierten Personen Lenas Mörder. Aknefreak? Muttisöhnchen? Oder hier: Nachbarhaus? Einen masochistischen Kunden Nachbarhaus zu nennen, war wohl weniger bizarr als eine Anspielung auf Reales. Barbara zeigte Uplegger die Nummer, und er rief gleich an.
An den Apparat ging niemand, aber der Anrufbeantworter sprang nach dem vierten Läuten an. Der Spruch war kurz, aber höchst informativ.
Der Anschluss gehörte Christian Drewniok.
***
Uplegger hatte eigentlich sofort zu Drewniok fahren wollen, doch Barbara hatte vorgeschlagen, zuvor nachzuschauen, ob bei den Kruses jemand daheim wäre. Uplegger hatte dagegen nichts einzuwenden; der Kolumbusring lag quasi am Weg und nur einen Katzensprung entfernt von Lenas »S/M-Studio mit Traumzimmer«. Trotzdem nahmen sie
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