Moerder Im Gespensterwald
Sie waren fortgeschrittenen Semesters, alte Hasen, wie man sie nannte. Von dem einen wusste Barbara, dass er schon bei der Volkspolizei Spuren gesichert hatte, der andere war vor einigen Jahren aus Kiel gekommen, um in Rostock dem Ruhestand entgegenzuarbeiten. Sie standen in der Nähe zweier Caravans, die durch ein Sonnensegel miteinander verbunden waren, und trugen Schutzhandschuhe. Das Segel hatte eine Beule in der Mitte, die vom Regenwasser herrührte. Während des Gewitters hatte es das Campingmobiliar darunter mit mäßigem Erfolg beschützt. Eine etwa 35-Jährige in knappen roten Shorts und hellblauem T-Shirt wischte den Tisch trocken.
Die Kriminaltechniker standen abseits mit einem etwa genauso alten Mann, der schon graue Strähnen hatte. Er trug eine dreistreifige Turnhose, dazu ein grünlich-graues Sweatshirt und ein rotes Basecap. Shirt und Cap waren mit einem Schriftzug bedruckt, den Barbara aus der Entfernung nicht zu lesen vermochte. Ihre Sehschwäche ärgerte sie, und etwas gereizt stapfte sie zu den Kollegen. Uplegger ging zu der Frau und stellte sich auf Englisch vor.
»Ich kann Deutsch«, erwiderte sie. Aus dem rechten Wohnwagen lugte ein kleines Mädchen mit Pipi-Langstrumpf-Zöpfen. Sein Blick verriet unendliche kindliche Neugierde, aber auch die ebenso kosmische Ratlosigkeit.
Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Graumelierten, der nur ein paar Brocken Deutsch beherrschte, um Robert Gundersen handelte, seines Zeichens Chefingenieur des Kernkraftwerkes Ågesta. Die knapp bekleidete Frau war seine
Gattin Elina, Deutsch-und Englischlehrerin am Blackebergs gymnasium in Stockholm, und ihre gemeinsame kleine Tochter hieß Maj. Elina war die jüngere Schwester des vermissten Axel Wetterstrom, Gundersen also dessen Schwager. Beide waren in größter Sorge, was bedeutete, dass die Spusi-Männer diskret gewesen waren. Nun hatten Uplegger und die inzwischen hinzugekommene Barbara ihnen reinen Wein einzuschenken.
»Agneta Wetterstrom ist sicher Axels Frau?«, begann Barbara und wechselte einen Blick mit Uplegger. Maj, die ein buntes Sommerkleid, weiße Söckchen und die Pumps ihrer Mutter trug, kam unsicheren Schrittes näher.
»Ja. Haben Sie sie denn gefunden?« Frau Gundersen war blass geworden. »Was ist passiert?«
»An accident?«, fragte ihr Mann.
»Etwas in der Art. Frau Gundersen, Herr Gundersen, wir müssen Ihnen leider …«
»Nej!«, rief Elina, schlug die Hände zusammen und sackte ein Stück zusammen. »Nej, nej! Sie sind …?«
»Tot«, sagte Barbara und schaute zu Boden.
Frau Gundersen gab ein gurgelndes Geräusch von sich, ihr Mann wich einen Schritt zurück. Maj begann zu weinen. Barbara hob den Blick und sah, wie sich Uplegger zu dem Mädchen hockte und beruhigende Worte murmelte.
»Ett ögonblick, tack!« Elinas Stimme war nur noch ein Hauch. »Ett ögonblick!« Sie schnappte sich ihre Tochter und rannte in den Wohnwagen. Maj war dermaßen erschrocken, dass sie zu schreien begann. Gundersen stand zur Salzsäule erstarrt. Sein Teint war grau, die Lippen zuckten. Barbara mochte ihren Beruf, aber von solchen Szenen hatte sie seit langem die Nase voll.
Gundersen ging nun ebenfalls in den Caravan, durch dessen offene Tür erregte Stimmen und Schluchzer nach draußen drangen. Die Kriminaltechniker wühlten derweil gegenüber in Wetterstroms Wohnwagen, einem deutschen Fabrikat von Knaus: Südwind 500 FDK .
Barbara und Uplegger zogen sich auf die Asphaltstraße zurück und warteten, dass beziehungsweise ob sich Gundersens einigermaßen beruhigen würden; es war durchaus möglich, dass die Erstbefragung verschoben werden musste.
»Ob überhaupt zu ihnen durchgedrungen ist, dass alle vier tot sind?«, überlegte Uplegger. Seine Kollegin zuckte mit den Schultern.
Nach etwa zehn Minuten erschien Robert Gundersen in der Tür und winkte die Kriminalisten herbei. Sein Gesicht war verquollen, Schweiß stand auf seiner Stirn.
Der schwedische Cabby F3F Family überraschte Uplegger durch seine Geräumigkeit. In einer Sitzecke rechts der Tür kauerte Elina Gundersen mit Maj auf dem Schoß und presste sie an sich, eine Mutter, die bei ihrem Kind Schutz sucht. Das Mädchen wirkte ängstlich und verstört. Gegenüber der Tür gab es eine Pantry und daneben eine Schlafkoje, auf der mehrere Kuscheltiere in Reihe saßen: ein Teddy, ein Löwe, ein Eisbär und ein Dinosaurier, kein Elch. Links der Tür, hinter einer abgerundeten Garderobe und dem Kühlschank, sah Uplegger zwei Bänke mit einem
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