Moerder Im Gespensterwald
wohl?« Holtfreters Atem ging schwer. »Der übliche Vollzugsdienst. Und Verkehrserziehung. Ich gehe in die Grundschulen im Nordwesten und erkläre, wie man sich im Straßenverkehr verhält.«
»Schulen, aha. Und hier? Was machen Sie beim Schützenverein?«
»Ich bin der Waffenwart. Der Vorstand meinte, diese Aufgabe wäre bei einem Polizeibeamten in den richtigen Händen.« Sein Gesicht war starr, eine Maske. Seine Nase war ebenfalls bläulich-rot gefärbt, was entweder auf Alkohol deutete oder auf die Einnahme von Herzmedikamenten. »Und bevor Sie fragen, warum ich außerhalb der Betriebszeiten bei der Anlage war: Ich habe dienstfrei und schaue nach dem Rechten. Hier treibt sich allerlei Gesindel herum.«
Einmal Polizist, immer Polizist, dachte Uplegger, wahrscheinlich überwacht er auch seine Nachbarn.
»Was für Gesindel? Die Tannen sind doch recht abgelegen …«
»Mit dem Rad oder dem Wagen kommt man ziemlich schnell aus den Neubaugebieten hierher. Und ich weiß, was dort für Bagaluden leben. Hartz IV, Säufer, Schläger, bekloppte Jugendliche und manch andere Gesellen. Denken Sie nur an die letzte Polizeistatistik. Im gesamten Rostocker Nordwesten sind die Straftaten angestiegen, am meisten in Lütten Klein.«
»In Warnemünde, Diedrichshagen und Evershagen nicht.«
»Weil dort viele Olle leben.«
»Und Sie? Wo wohnen Sie? Mittenmang in der Bronx?«
»Nee! Wir haben nach der Wende gebaut. Im Dorf Lichtenhagen, Siedlung Möhlenkamp, gerade noch Rostock, aber wenn wir die Dorfstraße überqueren, überschreiten wir die Kreisgrenze.« Jetzt erschien so etwas wie ein Lächeln auf seinem Gesicht, flüchtig wie Äther.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte Uplegger und deutete zum Mercedes, an dem die Kriminaltechniker ihre Arbeit begonnen hatten. »Welche Art von Personen haben Sie festgestellt?«
»Na ja, nicht direkt festgestellt.« Holtfreter wich aus, schaute sein Gegenüber nicht mehr an. »Es ist bloß so … man muss aufpassen. Die Schießanlage und unsere Aufenthaltsräume, das ist alles in Eigenleistung entstanden.«
»Werden Waffen auf dem Gelände gelagert?«
»Nee, die bringt jeder von zu Hause mit.«
»Dann geht es also darum, Vandalismus zu verhindern?«
»Hm.«
»Gab es denn in der Vergangenheit entsprechende Vorfälle?«
»Lange nicht mehr. Das letzte Vorkommnis … ich weiß nicht, wann das war. Aber neulich hat jemand vor das Tor geschissen.« Holtfreter war sichtlich erleichtert, dass ihm etwas eingefallen war.
»Und deswegen opfern Sie Ihre Freizeit? Um nachzuschauen, ob jemand vor das Tor gemacht hat? Sie sagen mir nicht die Wahrheit. Was hatten Sie hier zu suchen?«
Holtfreters Stirn war feucht vom Schweiß, die Tropfen liefen zu den Brauen, wo sie sich stauten. »Es ist, wie ich Ihnen gesagt habe. Was unterstellen Sie mir? Wir sind doch Kollegen …«
»Na, und? Was soll denn das heißen? Weil Sie ein Kollege sind, dürfen Sie mir Läuschen un Rimels erzählen? Ich habe jetzt anderes zu tun, aber wir sprechen uns noch. Schließen Sie das Tor auf, dann geben Sie den Schlüssel der Spusi. Sie können vorerst nach Hause fahren. Ist der grüne Honda dort drüben Ihr Wagen?«
»Hm«, machte Holtfreter bloß, dann tat er, wie ihm geheißen. »Komischer Typ«, sagte Uplegger zu Pentzien, als er fort war.
»Wer immer den Mercedes hier abgestellt hat, muss den Ort kennen«, entgegnete der Spusi-Chef.
Barbara hatte sich ein Sixpack geholt und kühlte es gerade, aber die Erwartung auf ein Bier konnte ihren Groll nicht mindern. Auf dem Beifahrersitz hatte noch ihr Leib-und Magenblatt gelegen, das sie nach dem kurzen Intermezzo als Katzendiabetologin aus dem Briefkasten geklaubt hatte, und nun hatte sie es mitgenommen ins Büro. Sie überflog den Artikel, auf den Gunnar Wendel hingewiesen hatte, und fand nichts, was sie nicht schon wusste. Die Fakten waren spärlich, das Foto von einem Streifenwagen vor Bäumen hatte wenig Informations-und Unterhaltungswert, und dass zwei interviewte Frauen aus dem Ort Angst geäußert hatten, war auch nichts Neues: Geschah irgendwo ein Verbrechen, fand sich immer jemand, der Angst äußerte.
Barbara schlug den Lokalteil auf, und ihr Blick fiel sofort auf einen Prozessbericht: Vor dem Landgericht Rostock wurde der Fall eines vorbestraften Frührentners verhandelt, der sich an einem achtjährigen Nachbarsjungen vergriffen hatte. Barbara hieb mit der flachen Hand auf die Zeitung. Da betrat Ann-Kathrin Hölzel das Büro, ein Blatt
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