Moerder Im Gespensterwald
interessant.«
»Der Typ, der Jahnke oder so ähnlich heißt, saß seit elf – Pi mal Daumen – an einem der Tische, trank einen Kaffee nach dem anderen und las Zeitung. Das macht er öfters; er soll Witwer sein und seine Frau an die Krankheit mit dem großen K verloren haben. Dann fuhr der Mercedes mit dem schwedischen Kennzeichen vor, ein Mann, eine Frau und zwei Jungs stiegen aus. Die Beschreibung passt auf unsere Opfer. Sie bestellten, und der kleine Junge tobte herum. Das hat Jahnke dermaßen aufgeregt, dass er ihn anschrie. Ziemlich vulgär. Mangolds wollen etwas wie ›Halt deinen Schwedenarsch!‹ gehört haben. Herr Wetterstrom verbat sich das. Auf Englisch, sagen Mangolds, dann auch in gebrochenem Deutsch. Na, da hatte er was angerichtet! Jahnke ging jetzt richtig hoch. Er wolle beim Zeitungslesen seine Ruhe haben, man könne doch wohl verlangen, dass auf Kinder aufgepasst werde – so in der Art. Wetterstrom gab Kontra. Da ist Jahnke dann völlig aufgebracht davongestampft und hat gedroht, sein Jagdgewehr zu holen und diese blöden Fischmäuler wegzublasen. Auch so etwas macht er wohl öfter. Nach fünfzehn, zwanzig Minuten sind Wetterstroms weitergefahren. Dann sah man Jahnke mit seinem Hummer die Strandstraße entlang und ihnen hinterherbrausen.«
»Hummer H3 von General Motors«, ergänzte Weidemann, der anscheinend ein Geländewagenkenner war.
»Wir sollten schleunigst herausfinden, wie Jahnke tatsächlich heißt«, sagte Uplegger.
»Ist in Arbeit«, sagte Weidemann. »Wir warten auf Antwort aus meiner Dienststelle.«
Die Flucht war geglückt. Barbara war über den Flur ins Sekretariat gehetzt, der erforderlichen Atemlosigkeit wegen, und hatte behauptet, sie habe gerade eine Erinnerung von der Sprechstundenhilfe ihres Zahnarztes erhalten. Sie müsse dringend gehen, sonst kündige ihr der Zahnarzt die Freundschaft. Voll Verständnis hatte die Sekretärin ihre Abmeldung entgegengenommen und für den Chef vermerkt. Mit schlechtem Gewissen, aber froh über die Freiheit, machte sich Barbara auf den Weg in die Östliche Altstadt, in der Tasche vergrößerte Kopien der Fotos aus den absenderlosen Briefen sowie Aufnahmen des Münzabdrucks.
Vor etlichen Jahren hatte sie schon einmal einen Fall bearbeitet, in dem Münzen eine Rolle gespielt hatten. Nun gab es bei der Kripo Spezialisten für alles Mögliche, auch für altes und neues Geld, aber Nico Böhme, einer ihrer Trinkkumpane, hatte ihr damals Heinz Hübner empfohlen, den kundigsten Numismatiker weit und breit. Hübner betrieb ein winziges Antiquariat in der Hartestraße, Barbara hatte damals bergeweise Bücher erworben, von denen sie noch nicht eins gelesen hatte, darunter eine alte Werkausgabe von Dostojewski. Sie hatte sogar mit Die Brüder Karamasow angefangen, war aber nach den ersten Seiten eingeschlafen, was nicht am Autor lag, sondern am anstrengenden Dienst.
Im Branchenbuch hatte sie sich überzeugt, dass das Antiquariat noch existierte. Entgegen ihrer Gewohnheit legte sie den kurzen Weg zu Fuß zurück. Doch noch bevor sie das Steintor erreicht hatte, lief ihr der Schweiß über den ganzen Körper. Es war wirklich hohe Zeit, sich einmal mit den Weight Watchers zu befassen.
Als sie in die Ernst-Barlach-Straße bog, fiel ihr ein, dass Hübner seinerzeit stellvertretender Vorsitzender der Plattspräkers gewesen war, eines Vereins zur Pflege der niederdeutschen Sprache. In sengender Sonne fragte sich Barbara, ob den Einheimischen im Zusammenhang mit Platt auch etwas anderes einfiel als Heiteres. War eine plattdeutsche Tragödie vorstellbar, eine Art Hamlet an der Milchkanne?
Sie schlüpfte durch das Kuhtor und ihr Blick fiel auf die ehemalige Likörfabrik Krahnstöver , wo jetzt eine Immobilien-und Managementgesellschaft eine Brasserie, ein Gourmetrestaurant und ein Hotel betrieb. Die Viergelindenbrücke querte sie nicht aus Notwendigkeit, sondern aus sentimentalen Gründen, denn als Schülerin hatte sie einmal bei einem Rezitationswettbewerb das Gedicht Er rührte an den Schlaf der Welt vorgetragen, einen zweiten Platz belegt und dafür einen Band mit historischen Stadtansichten geschenkt bekommen. Auf einem alten Schwarzweißfoto war auch die Holzbrücke abgebildet, die einst die Gleise der Hafenbahn überspannt hatte und im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war. Das Bild hatte in ihr den romantischen Wunsch geweckt, in alter Zeit zu leben. Die heutige Brücke, ein Kunstwerk namens Raumklammer aus poliertem Stahl, reichte an das Holz
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