Moerder Im Gespensterwald
Zeigefingers gegen ein beschlagenes Halbliterglas, das vermutlich Apfelschorle enthielt. »Darf ich bekannt machen?« Er nickte zu seinem Nebenmann. »Hannes Weidemann aus Doberan.« Ellenlanges A. »Von der Schutzpolizei zur Soko delegiert. Hauptkommissar Jonas Upläggäh.«
»Freut mich.« Uplegger reichte Weidemann die Hand.
»Ebenso.«
»Also, was gibt es Neues unter dem heißen Stern?«
»In Nienhagen wohnen zwei vorbestrafte Sexualtäter«, sagte der Lorbass. Weidemann nickte. »Der eine hat vor mehr als 25 Jahren als Lehrling im Wohnheim der Warnowwerft ein Mädchen vergewaltigt, das auch dort lernte. Noch heute behauptet er, sie hätte in den Verkehr eingewilligt. Sie sei noch Jungfrau gewesen und habe bei der Defloration solche Schmerzen gehabt, dass sie sich hinterher eingebildet habe, es wäre eine Vergewaltigung gewesen. Die DDR-Justiz hat ihn trotzdem für zwei Jahre in den Bau geschickt. Na ja, olle Kamellen! Der Mann ist jetzt 44 und arbeitet als Lagerist in einem Baumarkt. Er hat sich nie wieder etwas zuschulden kommen lassen.«
»Ein Alibi?«
»Hat er nicht. Seine Frau, die von der Vorstrafe nichts weiß, war zur fraglichen Zeit in Rostock, wo sie als Sekretärin an der Schiffbaufakultät der Uni arbeitet. Er selbst ist krankgeschrieben. Bandscheiben. Kenne ich, üble Sache. Er war den ganzen Tag allein im Haus und will im Garten gearbeitet haben.«
»Mit kaputten Bandscheiben?«
»Bei dem Garten? Der ist so picobello, da wird jeder Grashalm mit der Nagelschere geschnitten. Das ist kein Garten, sondern ein Lebensinhalt. Vielleicht kann er nicht zur Arbeit gehen, aber der Garten: Wat mutt, dat mutt.«
»Okay. Vorbestrafter Nummer zwei?«
»Ein gewisser Raimund Mangold. Er wohnt in der Neubausiedlung südlich der Doberaner Straße, am Rand des Gespensterwalds. Genauer: zwischen Nienhäger Holz und Ehbrauk. Das ist auch so ’n lüttes Wäldchen. Eine Straße dort heißt sogar Am Gespensterwald . Da wohnt er aber nicht.«
»Sondern?«
»Am Ehbrauk. Lucie?«
Auf seinen Ruf eilte eine Vietnamesin herbei, die eine schwarze Schürze trug und deren Alter schwer zu schätzen war. Lutze hatte ein natürliches Talent, sich mit allen Menschen sofort zu verbrüdern. Uplegger fand, dass diese Offenheit überhaupt nicht zu einem Bauernschädel aus Dithmarschen passte.
»Bitte schön?«, fragte die Bedienung.
»Bring mal dem Herrn auch ’ne Appelschorle!«
»Sofort.« Sie eilte zurück in den Gastraum.
»Heißt sie wirklich Lucie?«
»Nee, so nennt sie sich. Ich habe gleich gefragt. Wahrscheinlich heißt sie Nguyen Trung Hoa oder so. Also, zurück zu Mangold.« Lutze netzte sich die Kehle. »Er hat sich 2003 am Strand zwischen Nienhagen und Börgerende an einem Geschwisterpaar vergriffen. Mädchen und Junge. Sie acht, er neun. Urlauber aus Brandenburg. Solche Übergriffe gab es auch vorher schon, den ersten 1994. Er hat gesessen und eine Therapie gemacht, Auflage vom Gericht.«
»Ich glaube nicht an Therapien«, sagte Uplegger.
»Ja, wer weiß. Jedenfalls …« Lorbass Lutze stieß Weidemann an. »Jetzt du!«
»Er stand einige Zeit nach der Haftentlassung unter Führungsaufsicht und hat alle Termine genauestens eingehalten. Was allerdings nichts heißen muss, vielleicht macht er doppelte Buchführung. Nach außen hin der nette Nachbar, und innen drin Schweinestall. Wir können ja nicht reingucken in die Leute.«
»Allerdings hat er für den mutmaßlichen Tatzeitraum ein kaum angreifbares Alibi«, fuhr Lutze fort. Die Kellnerin brachte Schorle. »Lucie und ihr Chef können es bestätigen. Nicht wahr, Lucie?«
»Was?«
»War Herr Mangold gestern Nachmittag hier?«
»Mit Frau. Lange Zeit.«
»Von wann bis wann?«
»Kamen um zwölf, essen. Mittag. Dann Kaffee. Dann Bier.«
»Beide sind arbeitslos«, fügte Weidemann hinzu.
»Und dann können Sie sich ein Haus leisten?«
»Als sie anfingen zu bauen, hatten sie Jobs, die sie für sicher hielten. Die übliche Geschichte.«
»Sie haben bis ungefähr halb drei hier gesessen«, erklärte Lutze. »Und sie haben etwas beobachtet, das wichtig sein kann. Die Schweden waren hier.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme, eine Triumphgeste.
»Hier? Im Imbiss?«
»Ja. Sie haben wie wir draußen gesessen und Chinapfanne schnabuliert. Und sie sind in Streit geraten mit einem ortsbekannten Typen, der als aufbrausend gilt. Der liegt mit dem halben Ort im Clinch.«
Uplegger legte beide Hände auf den Tisch. »Das ist wirklich
Weitere Kostenlose Bücher