Moerder Im Gespensterwald
sein.
Auch an seinen 14-jährigen Sohn dachte Uplegger nun, den er wieder einmal sich selbst überlassen musste. Er nutzte die Gelegenheit ihn anzurufen. Nach fünfmaligem erfolglosen Klingeln sprang der Anrufbeantworter an und verkündete, »Marvin the First, King of Rostock« wäre nicht zu erreichen.
Uplegger verzichtete darauf, eine Nachricht zu hinterlassen, und schaute sich um: Links Einfamilienhäuser, rechts ein brachliegendes Feld, geradezu die Lichtenhäger Tannen. In diesem Wäldchen hatte ein Sportschütze, der Polizist war und auf dem Revier Lichtenhagen Dienst tat, Wetterstroms Mercedes entdeckt. Die herbeigerufenen Kollegen vom Dauerdienst hatten beim Öffnen des Wagens die Mädchenleiche gefunden.
Obwohl Uplegger den Fundort noch nicht besichtigt hatte, kannte er schon einen bemerkenswerten Umstand: Die Straße Zu den Tannen , auf der er fuhr, führte durch den Wald nach Admannshagen-Ausbau auf jene Straße zu, die Kollegin Riedbiester gestern nach Nienhagen genommen hatte. Vom Nienhäger Holz zu den Lichtenhäger Tannen war es also nicht weit.
Der Wagen vor ihm blinkte links und bog in einen Plattenweg. Nach nicht einmal hundert Metern ging es noch einmal nach rechts, dann waren drei Streifenwagen, ein Krankenauto sowie der Astra der Kollegen Helmich und Krüger zu sehen. Der Weg endete vor einem langgestreckten Gittertor, das oben mit Stacheldraht gesichert war. Auf einem grasbewachsenen Parkplatz davor standen der Mercedes und in einigem Abstand ein laubfroschgrüner Honda Civic . Alle Türen und die Heckklappe des Mercedes waren geöffnet.
Uplegger stieg aus, fast zeitgleich mit den Kriminaltechnikern. 14:58. Langsam ging er auf die Polizisten zu, die sich hinter dem Mercedes aufhielten. Helmich fragte: »Wo ist denn die Dampframme ?«
»Sitzt im Büro und pflegt die Akten.«
»Ach, herrje.« Helmich grinste. »Schade. Sie verbreitet immer so einen anheimelnden Kneipengeruch, der mich an den Feierabend erinnert.«
»Was ist das? Feierabend?« Uplegger trat näher an das Heck. Er mochte es nicht, wenn jemand auf den Alkoholkonsum seiner Kollegin anspielte.
Das Mädchen lag, halb in einen angeschimmelten Teppich mit Rautenmuster eingeschlagen, auf der Ladefläche, ein kleiner, erstarrter Kinderkörper, der kein bisschen so aussah, als ob Karina schliefe. Blut klebte am Gesicht, am Haar, am Hals. Das Gesicht war gedunsen, so sehr, dass man die Augen kaum sehen konnte. Fliegen hatten ihre Eier in die Wunden gelegt, und es waren bereits Maden ausgeschlüpft. Das Mädchen, das vor etwas mehr als 24 Stunden das Elternhaus verlassen hatte, um sich mit einer Freundin zu treffen, roch dermaßen nach Fäulnis, dass Uplegger unwillkürlich die Hand vor die Nase hielt. Er kannte den Anblick, kannte den Geruch, und trotzdem – es war ein Kind!
»Weg mit euch Spurenvernichtern!« Manfred Pentzien, noch in Zivilkleidung, aber bereits mit Einmalhandschuhen und Überschuhen ausgerüstet, warf einen Blick in den Wagen, zog die Stirn kraus und drehte sich zu seinen Leuten um: »Zuerst sammelt ihr die Maden ab! Und messt die Temperaturen! Im Wagen, in der Umgebung. Das hilft dem Leichenschnippler vielleicht bei der Todeszeitschätzung. Und dann brauche ich die gottverdammte Tagebuchnummer!«
Karina Dünnfelder war zu einem Verwaltungsvorgang geworden.
Uplegger zog sich zurück. Er betrachtete die Schrifttafel über dem Tor: Schützenverein Lichtenhagen 1992 e.V. , neben dem Tor gab es eine Tür, mit Stacheldraht gesichert. Auch dort fand sich eine Tafel, aber er musste ein paar Schritte näher herantreten, um die Aufschrift lesen zu können. Betriebszeiten der Schießsportanlage: Mi, Do 15–19 Uhr / Sa 9–12 und 15–19 Uhr / So 9–12 Uhr. Der Kollege vom Revier hatte den Mercedes also außerhalb der Betriebszeiten entdeckt.
Uplegger kehrte zu Helmich und Krüger zurück.
»Wo ist der Auffindungszeuge?«
Krüger deutete zu einem Mann, der die Fünfzig überschritten hatte und dem man die überwiegend sitzende Beschäftigung ansah. Er trug Shorts, über denen sich ein gewaltiger Bauch wölbte, die Trainingsjacke über dem grauen T-Shirt stand offen, die Füße steckten in Sandalen. Uplegger fielen sofort die geschwollenen Beine und die blau-violetten Flecken auf; wahrscheinlich war er herzkrank und hatte Wasser in den Beinen.
»Sie sind …?«, fragte er, nachdem er sich zu ihm gesellt und sich selbst vorgestellt hatte.
»Holtfreter. Kommissar Holtfreter.«
»Zuständig für …?«
»Na, was
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