Moerder Im Gespensterwald
Dünnfelder schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich bin kein Fachmann für emotionale oder für Geistesstörungen, sondern Bauingenieur.«
Uplegger nutzte die Gelegenheit: »Vielleicht auch Hobby-Archäologe?«
»Wie?« Dünnfelder hob irritiert den Kopf. »Nein, außer Lesen habe ich keine Hobbys. Manchmal gehe ich surfen. Aber ich habe wenig freie Zeit.«
»Auch nicht für … Karina?«
»Doch. Für sie hatte ich immer Zeit.« Er fuhr sich über das Gesicht, wieder sammelten sich Tränen in seinen Augen. »Ich weiß nicht, was mit meiner Frau ist. Was habe ich nicht alles gelesen. Über schizoaffektive Störungen. Über Borderline. Ich habe im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders geblättert, habe mich mit ICD-10 befasst, auch so ein Klassifikationssystem, das der Weltgesundheitsorganisation … Kopfschmerzen habe ich bekommen, aber keine Erkenntnisse. Wussten Sie, dass Borderline eine Unterform der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung ist? Was für ein Unsinn, nicht wahr? Ein Mensch kann emotional instabil sein, eine Persönlichkeitsstörung nicht.«
»Psychologengewäsch!« Das war ja Upleggers Thema – und Trauma.
»Sie sagen es.«
»Kann man Ihre Frau nicht zwingen, sich in Behandlung zu begeben?«
»Solange sie keine Gefahr für sich und andere darstellt? Vergessen Sie es. Ihre Suizidversuche sind Theater.«
»Sie hat Karina in der Öffentlichkeit geschlagen.«
»Das wissen Sie?« Dünnfelder stellte den Pott auf den Tisch und atmete tief durch. »Ja, ihr ist da wohl die Hand ausgerutscht …«
»Eher der Schuh, oder? Von Ausrutschen kann man wohl kaum sprechen.«
»Na ja, einer ihrer Wutausbrüche … Das kommt vor.«
»Sie wollen das doch nicht rechtfertigen?«
»Keineswegs. Was meinen Sie, wie ich sie gescholten habe. Von jedem Menschen kann man verlangen, dass er sich beherrscht, auch von ihr. Irgendjemand vom Amt oder vom Kindernotdienst brachte Karina zu mir. Eine Frau von Ende 50 mit zerknittertem Rock, wohl vom vielen Sitzen, sie unterhielt sich auch mit mir, wollte wissen, ob Mareike öfter übergriffig wird. So nannte sie das. Ich gebe zu, dass ich gelogen habe. Irgendwie … Man will doch nicht, dass so unangenehme Dinge aus der Familie nach außen dringen. Mir war das furchtbar peinlich. Und ich wollte Mareike auch schützen … Ach, ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Wenn sich hier jemand eines Tages umbringt, dann bin ich es.«
Kommissar Beck war schneller, als die Polizei erlaubt. Barbara malte gerade Seitenzahlen auf das Befragungsprotokoll eines Sexualtäters aus Heiligendamm, der nach einem Schlaganfall im Rollstuhl saß und als Täter ausgeschlossen werden konnte, als er anrief – zweieinhalb Stunden nach ihrem letzten Telefonat. Er musste den Beamten in Stavanger mächtig um den Bart gegangen sein, denn dass ein Vierfachmord norwegischen Polizisten überhaupt noch imponierte, war wenig wahrscheinlich; schließlich brachte ihre von Breithaupt so gern bereiste Heimat Männer hervor, die innerhalb von ein paar Stunden fast 100 Leute dahinmetzelten. Barbara wusste inzwischen, dass Stavangar mit knapp 130 000 Einwohnern Norwegens viertgrößte Stadt war und dass dort neben einem Dom auch ein Öl-und ein Konservenmuseum existierten.
Bakken hatte erreicht, dass sich vor Ort jemand mit Eidsvags Verbleib befasste. Und dann hatte er am Telefon eine Bombe hochgehen lassen: Eidsvag hatte sich 2008 erfolgreich um ein Stipendium des Edvard-Munch-Hauses in Warnemünde beworben.
Nun betrachtete Barbara ihren Bildschirm, auf dem das Logo der Polizei pulsierte. Über das Edvard-Munch-Haus, dessen Förderverein und Stipendiaten hatte sie vor langem in der Ostsee-Zeitung gelesen, aber sie erinnerte sich nur vage daran. Sie bewegte die Mouse, der Bildschirmschoner verschwand. Dann öffnete sie die Verbindung zum Internet und gab als Suchbegriffe Edvard-Munch-Haus und Magnus Eidsvag ein. Nach wenigen Sekunden erschienen mehrere Einträge. »Ministerpräsident gratuliert zum zehnjährigen Jubiläum«, lautete der erste.
Barbara klickte den Artikel an. Eine grün unterlegte Seite baute sich auf, mit zwei Fotos des Hauses Am Strom 53 in Warnemünde, gefolgt von einer Darstellung seiner Geschichte und einem biografischen Abriss Munchs. Barbara scrollte die Seite hinab bis zu der Überschrift »10 Jahre Munch-Haus. Grußwort des Ministerpräsidenten Dr. Harald Ringstorff«. Ein Auszug aus dem Grußwort folgte, darunter eine Fotografie. In einem altertümlich
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