Moerder Im Gespensterwald
überzeugte.
»Passt auf, Männer!« Barbara rückte sich gerade. »Ich habe Feierabend, okay? Ich möchte in Ruhe mein Bier trinken …«
»Stumpfsinn«, schimpfte Nico Böhme unvermittelt los. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und betrachtete das Fernsehbild. »Stupidität auf allen Kanälen.«
Auch Barbara schaute wieder hoch. Achim hatte zu einer Quizshow gezappt, wo unterhalb des ungewöhnlich hässlichen Kandidaten die Frage sowie die Antwortmöglichkeiten eingeblendet waren. Wer schoss im Finale der Fußfall-WM 1954 das Siegtor für Deutschland? A: Fritz Walter, B: Helmut Rahn, C: Ottmar Walter, D: Lothar Matthäus.
»Weißt du’s?«
»Das interessiert mich einen Hasendreck.« Nico hatte noch fürchterlichere Laune als Barbara, die sich allmählich wohlzufühlen begann. »Das Wunder von Bern, die eigentliche Geburtsstunde der Bundesrepublik, pah! Die eigentliche Entnazifizierung trifft es wohl besser.«
»Na ja.« Barbara nahm einen gewichtigen Schluck Bier. Oder einen Schluck Eingebung, denn neben ihr saß ja ein Schriftsteller, der vielleicht … »Nico, mein Lieber …«
»Heute nicht!«
»Was ist denn passiert?«
»Ich habe mich mit einem literarischen Projekt um das Baldreit-Stipendium in Baden-Baden beworben. Heute kam die Ablehnung. Das Übliche: Wir danken Ihnen blabla … viele Einsender, müssen Auswahl treffen blabla … Alles Gute für Ihre literarische Arbeit!«
»Ach Nico, Baden-Baden! Wer will dort schon hin?«
»Ich. Die Stadt ist mir doch egal. Aber es hätte Kohle gegeben, verstehst du? Für ein paar Euro gehe ich sogar nach … nach …«
»Winnenden«, schlug Barbara vor.
»Meinetwegen.« Er hob die Hand und orderte ein frisches Bier.
»Was ist denn das für ein … Projekt?«
»Der ultimative Wenderoman.«
»Ich habe ja keine Ahnung … gibt es den noch nicht?«
»Jede Menge. Alle schlecht.«
Das hatte Barbara erwartet. Nico hatte die gesamte neuere deutsche Literatur längst verworfen, die sie nicht kannte. Dank der Ostsee-Zeitung erfuhr sie zwar immer wieder einmal davon, dass bei den Buchmessen irgendwelche Preise verliehen wurden, aber sie konnte sich keine der Preisträgernamen merken, weil diese nach drei, vier Wochen anscheinend schon in Vergessenheit geraten waren. Was vor zweitausend Jahren der römische Senat erledigt hatte, verhängte heutzutage der unbarmherzige Markt: damnatio memoriae .
»Sag mal, Nico, du kennst dich doch in der Mecklenburger Kunst-und Literatenszene aus …«
»Geht so.«
»Sagt dir der Name Roger W. Bach etwas?«
»Pfui, Teufel, Barbara! Willst du mir den Abend verderben?«
»Ich dachte, verdorben wäre er schon?«
Nico bekam sein Bier und nahm es mit einer unwilligen Geste vom Deckel.
»Also, was sagt er dir?«
»Schrott, Müll und Gülle.«
»Dachte ich mir …«
Böhme sorgte für ausreichende Befeuchtung seiner Schleimhäute, dann setzte er das Glas ab und verzog das Gesicht.
»Dieser sogenannte Schriftsteller kann überhaupt nichts, außer Prahlen. Wenn er nüchtern ist, gibt er mit seiner gigantischen Bibliografie an; man darf ihn aber nicht nach den Auflagen fragen. Und wenn er einen in der Krone hat, prahlt er mit seiner Vergangenheit. Warum interessiert er dich?«
»Er ist Zeuge in der bewussten Angelegenheit, über die ich nicht spreche.«
»Roger? Ach, klar, ich verstehe. Er wohnt in Nienhagen!«
»Was gibt es denn Aufregendes in seiner Vergangenheit?«
»In seiner Jugend gehörte er den Ruhr Angels an. Du weißt, was diese Rockergangs machen, wenn sie nicht Motorrad fahren oder sich mit einer verfeindeten Truppe schlagen – und sie sind ja immer mit allen anderen Gangs verfeindet. Drogen, Prostitution, Mädchenhandel sind ihre Spezialitäten.«
Barbara wurde auf einen Schlag nüchtern.
»Und er war in solche Aktivitäten verstrickt?«
»Das müsstet ihr doch als Erste herauskriegen.«
»Ja, du hast Recht. Bisher war er aber nur eine Randfigur …«
»Ihr habt gepfuscht, hm?« Nico grinste. »Er ist dann aber ausgestiegen. Weil er das Schreiben entdeckt hat. Oder das
Schreiben ihn? Ich glaube, er hat legales Geld gewittert, also hat er ein Buch über seinen Ausstieg verfasst, das in einem Wald-und Wiesenverlag in irgendeinem Kaff da unten erschienen ist. Der Erfolg war mehr als mäßig, aber seine Kumpels hatten eine mächtige Wut.«
»Deshalb hat er später den Namen seiner Frau angenommen.«
»Ja, aber da ist noch etwas. Nüchtern schweigt er darüber, aber nach weiteren drei Schnäpsen gibt er
Weitere Kostenlose Bücher