Moerder Im Gespensterwald
sogar damit an. Er hält sich nicht nur für einen großen Schriftsteller, sondern auch für eine Helden. Als er noch in der Türsteherszene agierte, war er nämlich zugleich …« Nico legte eine Bedeutungspause ein und trank. »Er war Informant des LKA.«
»Wow!« Auch Barbara nahm einen Schluck.
»Weil er im Suff den Schnabel nicht halten kann, haben seine Ex-Kumpane auch das spitzgekriegt. Er sagt, dass sie ihn auf einer Todesliste hatten. Ich glaube, sie wollten ihm eher die Nase brechen. Todesliste klingt natürlich besser, damit kriegst du jedes pubertierende Mädchen rum.«
»Aber er ist verheiratet!«
»Na, und? Wenn er seinen Rappel kriegt, fährt er für eine Woche auf Lesereise durch Stundenhotels.« Nico kicherte.
Der neben ihm hockende Matthes hatte die Ohren gespitzt, und als er etwas von Stundenhotels hörte, musste er sich einmischen: »Gibt es die in Rostock?«
»Matthes, wenn Erwachsene sich unterhalten …«
»Er-was? Ich sehe hier nur …« Er musste einen Augenblick nachdenken, denn sein Witz war nicht besonders scharf. »Nur Verwachsene!«
»Mann, du hast wirklich deinen Verstand ertränkt!«
»Ich brauch den auch nicht. Mir reicht der Flaschengeist.«
»Genau. Sei artig und bestell dir einen Köhm auf meine Pappe.«
Das ließ sich Matthes nicht zweimal sagen. Achim schenkte ihm sofort ein, und Barbara hatte Nico wieder ganz für sich.
»Ich begreife nicht, warum er auf seiner Website das W in seinem Namen erklärt. Er schreibt ausdrücklich, dass er früher Wallmann hieß. Warum macht er das, wenn er in Gefahr schwebt?«
»Weil er stolz ist auf seine Vergangenheit. Er fühlt sich so verrucht wie Jean Genet oder Jack Unterweger oder wer auch immer. Ein Schriftsteller mit krimineller Vergangenheit. Dabei muss man schon mächtig recherchieren, um überhaupt darauf zu stoßen. Es ist ein Spiel mit der Streichholzflamme.«
»Wieso Streichholz?«
»Na, Feuer kann man das nun wirklich nicht nennen. Ich habe mir mal die Mühe gemacht … Die Ruhr Angels gibt es seit mehr als 15 Jahren nicht mehr.«
»Und du bist sicher, dass er auf junge Mädchen steht?«
»Hundertprozentig.«
»Wie jung?«
»Das weiß ich nicht genau.« Ein weiterer Schluck, und sein Glas war leer. »Ich denke aber … Seine Skala ist nach unten offen!«
***
Als er zum dritten Mal erfolglos blieb, war Jonas Uplegger schon ziemlich ungehalten. Da Marvin zu der Generation gehörte, die ständig etwas zu checken hatte – Mails, Pinnboards, SMS, Mailboxes und dergleichen –, musste er längst gesehen haben, dass sein Vater bei ihm angerufen hatte. Einige Stunden waren seit dem ersten Versuch vergangen, aber der »King of Rostock« ließ sich nicht zu einem Rückruf herab. Das ärgerte Uplegger maßlos, weil es sich einfach nicht gehörte: Marvin wusste doch, dass er sich Sorgen um ihn machte.
Er befand sich zwischen Lichten-und Sievershagen, als er seinen Sohn endlich an den Apparat bekam.
»Hi, Papa!« Das kam ungeheuer lässig, aber Uplegger hörte sofort, dass etwas nicht stimmte. »Papa, Papa …« Lallte Marvin nicht? Oder bildete er sich etwas ein, weil er sich Barbaras schwerer Zunge erinnerte?
»Marvin?«
»Papa, Papa, Pappenpapa!« Doch, er lallte! Und kicherte. »Der Papa, der ist da. Mal da und mal wawa.«
»Marvin!!!«
Er kicherte nicht nur, er lachte los. Lachte und lachte und konnte anscheinend gar nicht mehr aufhören.
»Wo bist du?«
»Zuhause.« – »Zuhauhauhause.« Unbändiges Lachen.
»Allein?«
»Nee, nee, nix allein. Zu zwein. Tim Tam Tom is da, trallala. Da, da, da.«
Auch den hörte Uplegger nun lachen. Vor ihm erschien das Bremslicht eines vorausfahrenden Mazda, und er musste hart reagieren, um keinen Unfall zu verursachen. Es war wieder schwül, ihm brach der Schweiß aus allen Poren.
»Habt ihr getrunken?«
»Aber Papa, wir doch nicht!« Marvin versuchte, entrüstet zu klingen, aber seine Worte gingen in einem Lachanfall unter. Und da traf Uplegger siedendheiß die Erkenntnis: Sein Sohn im Cannabisrausch! Anders waren das Lallen und das alberne Gekicher und Gegacker nicht zu erklären. Das war … das war …
»Ich komme! Sofort! Wehe euch, ihr macht die Fliege!« Sein Polizistenhirn formte sogleich die Frage, woher die Jungen den Stoff hatten. Dem Dealer würde er den Anus gewaltig aufreißen, und zwar bis zur Fontanelle.
Um zu seiner Wohnung am Puschkinplatz zu gelangen, brauchte Uplegger mehr als eine halbe Stunde. Die Fahrt verging mit Selbstvorwürfen, er verfluchte
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