Moerder Im Gespensterwald
genauso.«
»Ein echtes Scheusal«, bemerkte Uplegger und dachte sofort an den Tierfriedhof. »Mir scheint aber, dass die Schüsse auf die Kinder nicht angezeigt wurden?«
»Weil das zwecklos ist. Solche Anzeigen sind für die Katz’. Die Polizei oder ein Richter droht mit dem Finger, das war es dann. Kein Mensch glaubt mehr an den Rechtsstaat; die Justiz hat in der Bevölkerung längst jeden Kredit verspielt. Also hat sie eine Art Bürgerwehr formiert. Ich sage Bürgerwehr, auch wenn das nicht ganz der richtige Begriff ist … Jähnicke ist Jäger …«
»Tiermörder, wie meine Kollegin sagt.«
»Das wäre übertrieben. Jäger ist er, und im letzten Herbst haben ihm ein paar Leute auf dem Weg zur Jagd aufgelauert und ihn dermaßen verprügelt, dass er eine Woche nur Flüssig-nahrung zu sich nehmen konnte.«
»Wer?«
»Ich weiß es nicht.«
»Herr Dünnfelder!« Uplegger kniff die Augen zusammen. »In einem Ort von der Größe Nienhagens weiß es jeder.«
»Man redet …«
»Wer?«
Dünnfelder nannte fünf Namen, die Uplegger notierte. Einen davon kannte er bereits.
»Der alte Jähnicke hat keine Anzeige erstattet. Ich denke, bei Körperverletzung … Wie heißt das? Wenn man eine Anzeige machen muss?«
»Sie meinen ein Antragsdelikt. Es ist ein Irrtum, dass bei Körperverletzung nur ermittelt wird, wenn eine Anzeige vorliegt. Sie kann auch von Amts wegen verfolgt werden. Kann!«
»Und werden Sie das tun?«
»Die Entscheidung überlasse ich dem Staatsanwalt. Selbstjustiz kann jedenfalls nicht geduldet werden. Warum hat sich Robert W. Bach an der Prügelattacke beteiligt?«
»Es heißt, dass Jähnicke seine kleine Tochter beleidigt hat. Das Mädchen … sie wird Ulli genannt. Ulrike?« Uplegger nickte. »Ulrike hat dem Jähnicke auf dem Fahrrad wohl die Vorfahrt genommen. Ich meine, das ist ein Kind, das passiert schon mal. Aber er in seiner Angeberkarre ist sofort ausgeflippt und hat sie mit Wörtern bedacht, ich weiß nicht, welche. Der Schriftsteller hat sich daraufhin den Alten zur Brust genommen, zwei Nächte später brannte sein Briefkasten.«
»Es herrscht ja ein nettes Klima in Nienhagen.«
»Nein, nein. Es ist wirklich schön hier. Kann schön sein. War schön.« Dünnfelders Augen wurden wieder feucht. »Aber ein einzelner Irrer und seine missratenen Söhne können das Klima verderben, da haben Sie schon Recht. Sie halten quasi den halben Ort in Schach.«
Upleggers Smartphone unterbrach sie. Marvin hatte ihm den Klingelton aufgespielt, ein paar Takte des sanften Rappers Casper, den sein Sohn nur heimlich hörte, weil er nicht als Weichei gelten wollte. Uplegger sah, dass Barbara nach ihm verlangte, und trat durch die offene Tür auf die Terrasse. Die Dampframme verkündete: »Ich mache Feierabend.«
»Jetzt schon?«
»Schon, Jonas?« Täuschte er sich, oder war ihre Zunge bereits schwer? »Wir haben eine Nacht durchgearbeitet, also darf ich doch wohl für heute Schluss machen? Also, was gibt es bei Ihnen?«
Er berichtete kurz und hörte im Hintergrund jemanden fragen: »Noch mal die Runde, Matthes?« Da wusste er, wo seine Kollegin war.
Sie erzählte von dem Telefonat mit Bakken und davon, dass Magnus Eidsvag bei Rostock lebte. Für den kommenden Nachmittag hatte sie eine Verabredung mit Eidsvag getroffen, ohne ihm Näheres über den Zweck des Besuches mitzuteilen. Natürlich wünschte Uplegger, dabei zu sein und fragte sich insgeheim, ob Barbara sich dafür verbotenerweise vom Schreibtisch entfernen würde oder aber den Chef bezirzt hatte – was er sich kaum vorstellen konnte.
»Wir sehen uns morgen in alter Frische«, sagte sie.
»Na, dann … schönen Feierabend.«
»Ebenso«, war ihr letztes Wort.
Uplegger kehrte ins Zimmer zurück. Er wollte den Mann nicht mehr quälen. Doch was er noch wissen wollte, war besonders heikel.
»Was denken Sie, Herr Dünnfelder?« Er schaute nicht ihn, sondern die Buchrücken im Regal mit den antiken Klassikern an. Irgendwie fühlte er sich schuldig. »Es tut mir leid, aber … ich muss alle Möglichkeiten erwägen.«
»Dann machen Sie es uns nicht so schwer.«
»Könnte Ihre Frau etwas mit Karinas Tod zu tun haben?«
»Ausgeschlossen! Was haben Sie für Einfälle!«, brauste Dünnfelder auf. »Sie war die ganze Zeit im Haus.«
»Wie können Sie so sicher sein?«
»Weil ich auch hier war.«
»Im Arbeitszimmer. Sie können nicht alle Räume und auch nicht alle Außentüren überwachen.«
»Doch. Mit den Ohren. Ich lausche den ganzen Tag
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