Mörder im Zug
18.«
»Schöne Gegend«, bemerkte Barbara, »bei der Petrikirche … Obwohl, den Turm hat man ja wieder aufgebaut, wie steht es da mit Glocken? Bei einer Kirche mit Glocken möchte ich nicht wohnen.«
»Keine Ahnung.« Uplegger warf einen skeptischen Blick zum Drucker, der bereits ein launisches Alter erreicht hatte. Um eine Debatte über Kirchenglocken zu vermeiden, fügte er schnell hinzu: »Gesetzt den Fall, es sind wirklich Geschwister: Manfredas und Celerina sind älter als unser Opfer, Riccardo ist jünger. 23. Manfredas bringt es auf 32 Lenze, Celerina auf 30.«
»Auch wenn es keine Geschwister wären, wären sie trotzdem älter beziehungsweise jünger«, belehrte Barbara.
Uplegger fuhr auf. Am liebsten hätte er mit einer spitzen Bemerkung gekontert, aber es fiel ihm keine ein. Außerdem begann der Drucker zu knarren und zu quietschen, was zu der Hoffnung Anlass gab, er wolle arbeiten.
»Celerina und Riccardo klingen ganz und gar nicht lettisch«, murmelte Barbara, während sie auf ihren Bildschirm starrte.
»Als alter toscano sage ich Ihnen, Riccardo ist italienisch.« Uplegger gab einen weiteren Namen ein.
»Sie haben ja auch zwei italienische Restaurants. Jedenfalls hat sie dieser Per…?«
»Perviltas.«
»Genau.« Barbara nahm einen Schluck. »Andriejus hat keinen Registereintrag.«
»Also keine Vorstrafen.«
»Jedenfalls keine, die eingetragen werden müssen. Geben Sie mir mal die anderen Namen. Vielleicht finde ich da was.«
»Werden grad ausgedruckt.«
»Werden sie?«
»Äh … nein.«
»Diktieren Sie mir.«
Uplegger war folgsam, Barbara tippte. Es dauerte nicht lange, dann rief sie: »Nichts.« Und Uplegger rief: »Sokolowski wohnt auch in der Altstadt.« Der Drucker spuckte eine Seite mit Steuerzeichen aus.
»Sind wir nicht ein perfektes Team?«, fragte Barbara.
Barbara stand zu Recht im Ruf altmodisch zu sein, und sie war stolz darauf. Selbstverständlich benutzte sie Computer, E-Mail und Internet, sie hatte auch ein Handy, weil sie es für die Arbeit brauchte; die Raffinessen der angeblich intelligenten Technik blieben ihr jedoch verborgen. Wenn sie sich den Wohnort eines Menschen vergegenwärtigen wollte, benutzte sie den Stadtplan an der Wand. Sie brauchte diese Wahrnehmung, die man wohl haptisch nannte. Oder, wie ihre Mutter früher gesagt hatte, als sie noch ein Kind gewesen war: ›Du musst alles angrabbeln!‹
Genau das musste sie, denn damals hatte sie befürchtet, dass Dinge, die man nicht berühren konnte, vielleicht gar nicht existierten. Sie hatte dann zwar in der Schule gelernt, dass die Materie außerhalb und unabhängig von ihrem Bewusstsein bestünde, aber die Lust am Betasten war geblieben. Außerdem, wer glaubte schon Definitionen?
Bevor Uplegger eine seiner virtuellen Karten aufrufen konnte, hatte sie die Pferdestraße schon gefunden. Obwohl sie sich einbildete, sich in der Rostocker Altstadt gut auszukennen, von dieser Straße hatte sie noch nie gehört. Dort also wohnte Wachmann Sokolowski; wenn es hochkam, 300 Meter vom Alten Markt entfernt.
»Kennen Sie die Feuchte Geige ?«, fragte sie.
»Die Kneipe?«
Sie nickte. »Früher bin ich da gern hingegangen. War ein Geheimtipp, jedenfalls zu DDR-Zeiten. Wie’s heute ist, weiß ich nicht.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Wenn man die Pferdestraße entlang geht in Richtung Am Strande, gelangt man in die Faule Straße. Dort ist sie. Zur Gemütlichkeit . Aber so nennt sie kein Mensch. Obwohl sie gemütlich ist … oder war. Ganz viel alter Kram, wie beim Trödler. Und Schlüssel! Hunderte von Schlüsseln!« Barbara seufzte.
»Ich kenne nur das Hemingway . Also ich weiß, dass es die Feuchte Geige gibt, aber ich war nie dort.«
»Aber im Hemingway ? Das passt auch besser zu Ihnen.« Barbara setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. »Die Restaurants der Familie Medanauskas, wo befinden die sich eigentlich?«
»Das Al Faro wird in Warnemünde sein«, sagte Uplegger. »Augenblick! Bin grad bei OpenStreetMap. Al Faro – direkt am Leuchtturm. Genuine Italian cuisine, steht hier. Haben die Medanauskas vielleicht selbst eingetragen, OpenStreetMap wird nämlich von den Usern gestaltet. Piano nobile … Nee! So viele Zufälle gibt es doch gar nicht! Alter Markt 18!«
»Dann wohnt dieser Manfredas vielleicht über der Gaststätte. Oder das ganze Haus gehört der Familie. Kommen Sie, wir fahren los! Es ist halb fünf, jetzt müssen wir die Angehörigen verständigen.«
»Noch ein paar Minuten.« Eigentlich war
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