Mörder im Zug
überlasteten Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit eingestellt.
»Da hat sich ja keiner den Arm ausgerissen«, murmelte Barbara vor sich hin. Ihr Gegenüber reagierte nicht, und sie schlug die Mappe zu. Sie malte einen Kringel in das dafür vorgesehene Feld und klebte einen gelben Post-it auf den Deckel, um ihrerseits ein kurzes Dankschreiben an Ann-Kathrin zu verfassen, da kam Leben in Uplegger.
»Na, bitte!«, rief er triumphierend und schwenkte das Vergrößerungsglas.
»Was haben Sie?«
Er stand auf, umrundete die Schreibtische, legte ein großformatiges Foto auf die Akte, reichte ihr die Lupe und tippte auf das Bild. »Laut Lichtbildmappe ist das hier Danilo Ball.«
Es war sofort zu sehen, wer damit gemeint war. Danilo Ball trug ein Hansa – Basecap und einen Hansa – Schal und schüttelte die Fäuste in Richtung der Polizeikamera. Die Linke umklammerte den Hals einer Bierflasche, zwischen den zusammengepressten Fingern der Rechten war ein Schlagring zu erkennen, was Barbara zu einem verkümmerten Pfiff veranlasste; richtig pfeifen konnte sie noch nie. Ball hatte seinen Mund so weit aufgerissen, dass ein Zahnarzt mühelos eine Ferndiagnose stellen konnte, und sein Blick war getrübt von Alkohol und Aggressionen. Hinter ihm schwenkten ein paar ebenfalls grölende Fans ein Spruchband mit der Aufschrift F. C. Hansa Rostock Meine Heimat + Meine Liebe + Mein Verein .
»Wo ist das aufgenommen?«
»In Jena. Nach dem Spiel gegen Carl Zeiss .«
»Mein Gott, die waren früher auch in der Oberliga. Gibt es denn keinen Ostverein mehr, der nicht in der Drittklassigkeit versunken ist? Ich sage Ihnen, es liegt am Geld. Die Ostvereine haben nicht so viel Knete wie Dynamo München .«
»Dynamo München?«
»Ja. Hab ich umgetauft. Zu DDR-Zeiten war der BFC Dynamo auf Sieg abonniert, heute sind es die Münchner. Steckt vielleicht der BND hinter.« Barbara hob die Lupe. »Wozu brauche ich die?«
»Dort.« Uplegger deutete mit dem perfekt manikürten Nagel seines rechten Zeigefingers in das Bildfeld neben dem Spruchband, Barbara beugte sich darüber. Ihr Herz machte einen Sprung.
»Das ist ja Medanauskas! Verdammt! Taucht er doch in der Gewalttäterdatei auf?«
»Einmal wurde er am Rande einer Schlägerei festgenommen. Er konnte aber glaubhaft machen, dass er nur zufällig in der Nähe war.«
»Das könnte für diese Aufnahme auch zutreffen. Nichts deutet darauf hin, dass Danilo und er sich kennen.«
»Sie meinen: Nähe bedeutet nicht Bezug?«
»Es gibt jede Menge Fußballfans.«
»Aber nicht jeder betreibt eine Website www.hansa_ultras / blut-muss-fliessen.de .«
»Wie?« Barbaras Kopf schoss in die Höhe. »Andriejus?«
»Nein, Ball.«
»Das ist ja widerlich. Nun sagen Sie aber nicht, es gäbe einen Link zu den Restaurants, so nach dem Motto: Nachdem Blut geflossen ist, lasst Bier fließen im Piano nobile .«
»Nein, nein. Das Piano und das Al Faro passen nicht zu den Ultras.«
»Ich glaube, wir beide schießen uns gerade auf Leute ein, die uns unsympathisch sind, die aber die Tat nicht begangen haben können. Damit will ich nicht sagen, dass sie mit ihr nichts zu tun haben.« Barbara warf einen Blick auf Ann-Kathrins Zettel, dann schaute sie auf die Uhr. »In etwa 30 Minuten hat Claudia Brinkmann eine Freistunde. Um sie sollten wir uns jetzt kümmern, Jonas. Über den Inhalt der Drogenakte informiere ich Sie auf dem Weg. Lassen Sie uns die Schulbank drücken.«
***
Uplegger fuhr auf der Langen Straße an Barbaras Haus vorbei und dachte an Marvin, der wirklich die Schulbank drückte und jetzt vielleicht Mathematik hatte oder Chemie oder Deutsch, das er nicht so mochte. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Barbara ihre Tasche öffnete und eine Packung Fisherman’s Friends herausnahm. Sie glaubte, damit ihren Atem zu verbessern, aber die Wirkung hielt nie lange an.
»In der Nähe der Borwinschule haben wir mal gewohnt«, sagte sie, während sie das Radisson SAS passierten, das sie langweilig fand. »Margaretenstraße. Lang, lang ist’s her.«
»Als Kind?«
»Na, sagen wir, als Jugendliche. Unsere erste Wohnung, nachdem wir aus Grevesmühlen hierher gezogen sind.« Barbara schob eine Pastille in den Mund.
Uplegger bog vom Schröderplatz in die Doberaner Straße. »Mit ihren Eltern also?«
Sie brummte. Das Thema schien ihr unangenehm zu sein, dabei hatte sie es selbst angeschnitten.
Sie lenkte sogar ab: »Fühlt sich Marvin eigentlich wohl an der Goetheschule?«
»So heißt sie doch gar
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