Mörder im Zug
Ratlos drehte sie sich zu Bruno um, der ihr wie ein Hündchen überallhin folgte, aber nur innerhalb der Wohnung; die Welt vor der Wohnungstür war ihm unheimlich. Zu Recht, fand Barbara.
Bruno blinzelte sie an. Die kalten Fliesen im Bad mochte er nicht, und so dauerte es stets eine gewisse Zeit, bis er seine Pfoten über die Schwelle setzte. Überhaupt fragte sich Barbara oft, wie Entscheidungsprozesse im Hirn einer Katze ablaufen mochten. Wog sie etwa auch das Für und Wider ab? Das war eigentlich zu menschlich – aber irgendwann fiel eine Entscheidung, also musste es auch einen Prozess geben, der zu ihr führte.
Barbara wählte Lavendel. Sie gab reichlich Schaumbad in die Wanne und öffnete den Hahn für das heiße Wasser. Bruno hatte die Schwelle überquert und rieb sich an ihrem Bein. Im Wohnzimmer schrillte das Telefon.
Barbara schickte einen vorwurfsvollen Blick zur Decke, tappte auf nackten Füßen zu dem Ruhestörer und nahm den Hörer ab.
»Riedbiester«, fauchte sie. Dann sagte sie lange nichts.
Es gab einen weiteren Toten, und er war keines natürlichen Todes gestorben. Jemand hatte ihm in den Mund geschossen, und nun lag er auf einem Feldweg unweit der Deponie Parkentin. Der Killer hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Identität seines Opfers zu verschleiern, und daher sah es aus, als gäbe es einen Zusammenhang mit dem Mord in der S-Bahn. Diesmal existierte eine Nähe, die zugleich Bezug bedeutete:
Der Tote hieß Riccardo Medanauskas.
V Müll
Scharfer Wind trieb Uplegger die Tränen in die Augen, kaum dass er den Dienstwagen auf dem Deponieweg verlassen hatte. Es war beinahe stockdunkel; Autoscheinwerfer und leuchtende Taschenlampen betonten die Finsternis ringsum, Blaulichter warfen einen unheimlichen Schein auf vereinzelte Bäume und Sträucher. Vier Männer in Schutzanzügen montierten gerade hohe Strahler. In regelmäßigen Abständen leuchteten ihre weißen Overalls bläulich auf.
Uplegger hatte Barbara zu Hause abgeholt. Nebeneinander gingen sie zum Ort des Geschehens. Ein anonymer Anrufer hatte die Polizei verständigt. Das Gespräch war aufgezeichnet worden. Er hatte ein Handy benutzt, die Nummer war bekannt, und die Mühlen des Ermittlungsapparats mahlten bereits, um den Besitzer und die Funkwabe ausfindig zu machen, aus der er telefoniert hatte.
»Kalt«, sagte Barbara. Ihre Lippen bebten.
Uplegger nickte. Die Aufnahme spukte ihm durch den Kopf:
›Polizeinotruf, was kann ich für Sie tun?‹
›Bei der Deponie Parkentin liegt ein Toter. Er wurde in den Mund geschossen. Sein Name ist Riccardo Medanauskas.‹
›Und ihrer? Wie heißen Sie?‹
Da war die Leitung schon tot gewesen.
Uplegger hatte sich die Tondatei als E-Mail-Anhang schicken lassen und mehrmals abgehört. Der Anrufer hatte die drei Sätze ohne Punkt und Komma gesprochen, als hätte er sie sich zurechtgelegt. Seine Stimme klang aufgeregt, ängstlich und dumpf. Vermutlich hatte er ein Tuch über den Apparat gelegt, Uplegger glaubte dennoch, Morten Kröner erkannt zu haben. Kollegen aus Lütten Klein waren bereits zu ihm auf dem Weg.
Mit lautem Brummen sprang ein Dieselgenerator an. Die vier Strahler tauchten den Feldweg in ein gleißendes kaltes Licht. Ein rasch heranfahrender Wagen kam nach einer scharfen Bremsung zum Stehen. Manfred Pentzien sprang heraus und hatte kaum die Tür zugeworfen, als noch ein Auto erschien, das mit Blaulicht aus Richtung Rostock eintraf: der übliche große Bahnhof für ein Mordopfer.
Pentzien stapfte auf sie zu.
»Warum habe ich eigentlich Wohnung, Familie und ein Buchregal? Wenn das so weitergeht, kann ich in die Dienststelle ziehen, meinen Lieben den Laufpass geben und ein Antiquariat beglücken,« schimpfte er. »Und dann diese Kälte! Ich plädiere dafür, Tötungsdelikte nur während der Saison zu erlauben.«
»Das würde einen ganz neuen Straftatbestand erschaffen«, erwiderte Barbara.
Der nächste Wagen war herangerauscht und spie Gunnar Wendel aus. Der Mann ohne Eigenschaften trug wie immer Anzug und Krawatte, allerdings war der Schlipsknoten nachlässig gebunden. Als Pentzien an ihm vorbeiging, um Mordkoffer & Co. aus dem Kofferraum zu holen, schlug er dem Chef auf die Schulter. »Ist deine Frau nicht daheim?«
»Wieso?«
»Dein Halsstrick sitzt schief.«
»Mann Gottes, treck di an un holl din Muul!« Wendel versuchte, die Krawatte zurechtzurücken, wodurch er sie noch mehr in Unordnung brachte; augenscheinlich fehlte ihm der Spiegel. Rasch knöpfte er Mantel und
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