Mörder Quote
nicht der allerallerletzte Dreck!«-Geste des falschen Triumphs, und die Juroren standen auf und gingen zu den beiden letzten Gladiatoren und bezeugten falsches Mitleid oder falsche Freude, während der Abspann schon lief und der Schlussapplaus donnerte.
Tanya entschied sich für Sebastian, weil ihr Mephisto immer noch eindeutig zu gruselig war. Während sie ihn umarmte, bemerkte sie, dass Sebastians ganzer Körper völlig steif und starr war. Unbeweglich und ohne eine Miene zu verziehen stand er anscheinend wie unter Schock oder – das fiel Tanya unwillkürlich ein – wie unter Gefrierbrand. Nur in seinen Augen – und die sah Tanya zum ersten Mal von ganz Nahem – brannte ein Feuer. Und dieses Feuer schien auf Sascha gerichtet zu sein, der gerade schnurstracks an Sebastian zum Fotocall vorbeiging, ohne den Verlierer eines Blickes zu würdigen.
»Alles okay, Sebastian?«, fragte Tanya wieder mit ihrer normalen Stimme, denn die Mikros waren schon abgeschaltet.
Sebastian sah sie an, als ob er sie zum ersten Mal wahrnehmen würde. »Alles okay«, sagte er. »Ist ja nur eine Show.«
»Ganz genau – aber eine affengeile Multimillionen umsetzende Mörder-Killer-Wahnsinnsshow!« Marco Deutz’ goldberingte Pranke landete auf der zerbrechlichen Schulter des heutigen Opfers. »Du warst einfach nicht GEIL GENUG , mein Junge!« – und mit diesem aufmunternden Satz ging auch er zum finalen Foto des Abends. »Kommt Kinder, lasst die Deppen rein!«, schrie er in Richtung Tür, damit endlich die wartenden Fotografen ins Set gelassen wurden. »Et is noch immer jot jejange«, flötete das alte Pitterchen und legte den Arm um Sebastian, um auch ihn zum Foto zu schieben. »Aber jetzt müssen wir JANZ schnell dat Foto machen, dat Pitterchen brauch nämlisch en lecker Kölsch!«
Tanya stellte sich als Letzte in das Gruppenbild, das mit allen Kandidaten und Jurymitgliedern um den immer noch völlig regungslosen Sebastian herum arrangiert wurde. Eine Kordel wurde aufgespannt, und nun wurden wirklich die Studiotüren geöffnet, und die Fotografen rannten durch die leeren Stuhlreihen auf die Bühne zu wie die Stierherde in Pamplona. Tanyas Blick suchte kurz Nils Lehmann, aber sie konnte ihn in dem Gewimmel nicht mehr entdecken. Nur Peter de Bruyn thronte im Hintergrund, ganz der hellwache Medienimperator, während die Angehörigen der Kandidaten warteten, endlich zu ihren Kindern, Brüdern und Schwestern zu kommen. Aber die mussten jetzt noch mal richtig arbeiten.
»Kommt Leute, macht mal jeder eine typische Pose«, schallte es aus der Fotografenwand. Der aufdringliche dicke Berliner war natürlich wieder ganz vorne dabei. »Xenalein, jib Gummi! Chantal, mehr Po! Und Sebastian – mehr Trauer, du hast verloren! Haste dat jetzt kapiert! Mephisto – böser! Fatima – cooler! Mike – dreckiger! Uwe – mehr macho! Sascha – schwuler!«
Alle Kandidaten posten jetzt mehr oder weniger so, wie es ihren kleinen frischen Adjektiven entsprach. Marco und das Pitterchen lösten sich wie immer nach ein, zwei Motiven aus der Gruppe und unterstrichen damit die hierarchische Ordnung und die Tatsache, dass sie beide PR nun wirklich nicht mehr nötig hatten. Tanya hielt wie immer bis zum Schluss durch – sie hatte das Gefühl, das sei sie den Kandidaten schuldig. Aber heute wurde das Gedränge um sie herum wirklich unerträglich. Dieser Haupt-Paparazzo war wirklich ekelhaft. »Komm Tanya, mehr Sex! Du hast es doch! Du kannst es doch! Du bist doch immer noch eine ganz scharfe Nummer!«
Tanya starrte in die Linse ihres Verbalangreifers und zwang sich innerlich zur Ruhe. Lächeln, eins , Lächeln, zwei , Lächeln, drei . Der konnte ihr nichts!
»Super Tanya, du bist doch noch geiler als das ganze junge Jemüse!« Und mit diesem schönen Satz sackte der Fotograf plötzlich vor Tanya langsam zusammen. Erst sank die Kamera, dann sah sie in ein sehr erstauntes Gesicht, das wie in Zeitlupe nach vorne kippte. Dann brach der ganze massige Körper über die Kordel und schlug mit einem Krachen auf dem glatten schwarzen Studioboden auf.
Peter de Bruyn war als Erster zur Stelle. »Holt mal jemand den Studioarzt«, rief er energisch den Umstehenden zu und beugte sich zu dem dicken Paparazzo hinunter. Doch als sich sein Kopf wieder hob, sah Tanya einen Gesichtsausdruck, den sie wirklich noch nie an dem Pressechef von Deutschlands erfolgreichster TV -Show gesehen hatte – jungenhaftes, völlig naives Erstaunen. Der harte Peter de Bruyn sah auf einmal aus
Weitere Kostenlose Bücher