Mörder Quote
überraschenderweise an seinen Mitkandidaten Sebastian auf dem Kandidatensofa rangesungen hatte, war sowohl vieldeutig als auch effektvoll gewesen.
»Superschwul, aber super!«, hatte sogar Marco zugeben müssen, und der geschockte kleine Sebastian konnte danach klar nur noch abstinken mit einem verzweifelten Bruce-Springsteen-Versuch, der vier Nummern zu groß für ihn war.
Eben kamen die Votings rein, und es sah nicht gut aus für den blonden Schwiegersohn, so viel konnte Tanya am Gesicht des Moderators schon ablesen, der gerade die endlose Urteilsverkündung vertragsgemäß so in die Länge zog, dass man die Quote förmlich steigen hören konnte. Niemand, das wusste Tanya nur zu gut, schaltete da draußen ab, wenn er zufällig in den Moment reinzappte, in dem scheinbar gleich das Urteil verkündet wurde. Deshalb zog und zog und zog man es in die Länge mit nochmaligen Rückblenden, mit Close-ups aller Teilnehmer inklusive ihrer anwesenden Angehörigen, Exlehrer und Haustiere und komplizierten »Zwei nach vorne ins Licht, aber das heißt noch nichts«-Choreografien, die völlig surreal waren. Spätestens an diesem Punkt der dreistündigen Show war für Tanya immer höchste Professionalität angesagt. Dafür bekam sie ihr kräftiges Gehalt: Sie musste in jeder dieser endlos langen Minuten der Kamera wechselnde Gesichter anbieten (Spannung! Unterstützung! Mitzittern!), während sie eh schon ziemlich sicher wusste, wer rausflog, innerlich seit einer halben Stunde aufs Klo musste und in der heißen Studioluft so schwitzte, dass jetzt jedes Kleid endgültig klebte und/oder juckte. Das hier war der Gipfel ihrer darstellerischen Kunst. Das Bayreuth ihres Daseins! Alles zwischen Melodrama und großer Oper in einer endlos langen heißen Sequenz! Die Hölle auf Erden.
Um sich abzulenken, sah sie in diesem Zeitraum oft ins Publikum. Sie versuchte sich einzelne Familienangehörige zu merken oder einzelne T-Shirts und Tafeln für zukünftige Kommentare zu memorieren (»Xena the witch, Chantal the bitch!« oder »Mike D is Danger!« oder »Uwe, du schaffst das!«) oder auf die müden Gesichter einzelner Kabelhilfen zu starren, um ihnen aufmunternd zuzunicken unter dem Motto: »Gleich ist es rum«.
Heute musste sie sich nicht lange umschauen, um bei Nils Lehmanns hübschem und wieder über alle Ohren strahlendem Anblick zu landen. Der Junge hatte es wirklich geschafft, in der Produktion einen Job als Lichtdouble zu bekommen! Er durfte jetzt während den Proben an den Positionen der »Stars« stehen, damit die eingeleuchtet werden konnten. Als Tanya heute ins Studio zur Probe kam, hatte er sie schon mit einem begeisterten »Wir kennen uns doch aus dem Fitnessstudio! Wer bin ich?« empfangen und sich dann ein Schild vor die Brust gehalten mit der Aufschrift »Chantal«.
»Na, das ist ja überraschend«, hatte sie erwidert, »ich dachte, Sie sind Nils Lehmann!«
Die Replik hatte zwar gesessen – er hatte nicht erwartet, dass sie seinen Namen kannte, das sah sie ihm an. Aber gleichzeitig hatte der Satz eindeutig ihre eigene Machtposition untergraben, und sie war innerlich wütend über sich zu ihrem Jurytisch geschlichen. Dieser Typ brachte sie irgendwie durcheinander. Er war zu hübsch, zu groß, zu jung. Und er war überall, wo sie auch war – war er nun Stalker, Fan oder hatte er einfach nur viel Zeit?
Jetzt im Moment stand er hinter Kamera zwei und zwinkerte ihr zu. Seine braunen Augen leuchteten wie die Lämpchen auf den Kameras, und seine Locken wippten im Beat des rhythmischen Dauerklatschens, das jetzt endlich zur wirklich, ehrlich, ALLERLETZTEN Entscheidung eingesetzt hatte.
Sie musste sich wieder konzentrieren.
»Und der von euch beiden, lieber Sebastian, lieber Mephisto, der heute Abend die Show verlassen muss, ist …« Der Moderator machte ein Gesicht, das er für dramatisch hielt, das für Tanya aber immer eher nach Verstopfung aussah.
»Es ist …«
Tanya wunderte sich ein bisschen, dass Mephisto so weit unten gelandet war. Vielleicht war seine Wahl »Unchain my heart« von Joe Cocker zu freundlich gewesen, zu wenig dämonisch und zu schwer zu singen.
»Es ist … es ist …«
Das ECHO !, dachte Tanya mit letzter Kraft.
Und dann endlich: » SEBASTIAN !«
Nun brach endlich das Schlussgewitter der Sendung los wie ein hysterischer Sommersturm. Alle Lampen drehten sich, der Hinausgeworfene weinte oder fiel gleich auf die Knie, der Verschonte sprang hoch in einer »Ich habe es doch noch geschafft! Ich bin
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