Mörder und Marder
Rieseby schloß die Augen und wurde blaß um die Nase.
Susanne Steul nickte mehrmals und tastete blind nach Zigaretten.
Arthur Melcher nestelte an den Fransen seines Seidenschals und spitzte die Lippen, als wolle er pfeifen.
Heinrich Genenger lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, bis die Rückenlehne krachte, verschränkte die Hände hinter dem Kopf, grinste plötzlich, öffnete den Mund und stieß einen Jahrhundertrülpser aus.
Adelheid Koslowski stützte sich mit dem Gesäß an der Fensterbank ab und blickte aus Augen, die plötzlich flackerten, von einem zum anderen.
Jorinde hatte die Lider niedergeschlagen, griff nach ihrem leeren Kaffeebecher und starrte hinein, wie auf der Suche nach einem verborgenen Ausgang.
Baltasar paffte und blickte gelassen über die Häupter der Versammelten. »Ja, ja. Der Schnee ist ungebrochen, es gibt keine Spuren.«
»Ach du liebe Güte«, sagte Hoff halblaut. »Daran hab ich noch gar nicht gedacht.«
Melcher warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Ist aber wirklich das Nächstliegende.«
Susanne Steul fand endlich die Zigaretten und zündete sich eine an. »Aber jemand könnte doch in der Nacht ins Haus gekommen sein und Schuster umgebracht haben. Ich meine, als es noch geschneit hat. Dann wären seine Spuren inzwischen zugeschneit.«
Hoff befreite Vespasians Kopf aus den Decken und tätschelte das Tier vorsichtig. Der Marder drehte und wand seinen Nacken und suchte etwas, in das er seine Zähne schlagen konnte. »Erstens, liebe Susanne«, sagte Henry, »war gestern abend der Schnee schon hoch. Ich glaub nicht, daß jemand noch zum Haus hätte kommen können. Zweitens hab ich, als ich ins Bett, also, schlafengegangen bin, aus dem Fenster gesehen. Das war gegen drei, und da hat es nicht mehr geschneit, der Himmel war klar. Und drittens hab ich, als ich die Treppe raufgekommen bin, oben einen Moment lang gelauscht, weil ich was Komisches gehört hab. Das war Schusters besoffenes Schnarchen. Er hat also um drei noch gelebt, und da hat es schon nicht mehr geschneit.«
Evita Rieseby zupfte an den Spitzen ihres blonden Lamettas. »Bist du da ganz sicher?«
Baltasar hob die Hand. »Den Punkt können wir abhaken. Ich kann es bestätigen. Ich habe das Schnarchen auch gehört, es ist aus Schusters Zimmer gekommen. Und auch ich habe aus dem Fenster geschaut.«
Arthur Melcher zerrte an seinem Schal und wand sich das Ende dreimal eng um den Hals; dabei zog er die Schultern hoch. »Sehen wir der Sache ins Auge«, sagte er halblaut. »Der Mörder ist jetzt in diesem Zimmer. Na denn Prost!«
Nach kurzem Schweigen sagte Evita Rieseby zaghaft: »Vielleicht war es aber doch keiner von uns. Es könnte ja noch jemand im Haus sein. Gut versteckt.«
Matzbach blieb im Kaminzimmer, während die anderen auf die Suche nach dem Großen Unbekannten gingen. Alle bis auf Genenger, der die Ellenbogen auf den Tisch stützte, die Pranken zu einem kopfgroßen Ball verschränkte und unverbindlich summte.
Baltasar ging langsam auf und ab, paffte, beobachtete interessiert Vespasians Befreiungsversuche und legte die Hände auf den Rücken.
»Sie sehen aus wie ein lustwandelnder Professor.« Genengers grollendes Organ füllte den Raum.
Matzbach nahm die Hände vom Rücken, betrachtete sie mißmutig und bewegte die wurstförmigen Finger. »Das ist eine schwere Beschuldigung.«
Genenger schob sein massives Kinn vor, bis die gekerbte Spitze auf dem Prankenball ruhte. »Wieso?«
Baltasar ergriff seine Zigarre und punktierte die Luft mit ihr. »Tja, hm, wie soll ich Ihnen das erklären? Seit ich hier angekommen bin, war meines Verwunderns kein Ende. Acht ehemalige Kommilitonen, Studenten der Philosophie, erfinden seltsame Berufe und beuten die Eitelkeit und den Leichtsinn ihrer Mitmenschen aus. Daran ist nichts verwerflich; der Jahrmarkt der Eitelkeiten, wenn man so will, braucht zu seinem Funktionieren nicht nur jene, die dort eitel flanieren, sondern auch die anderen, die mit den Buden, die etwas anbieten, was die Eitlen in ihrer Eitelkeit kaufen. Können Sie mir folgen?«
Genenger schnaubte.
»Aha. Also, auch dieser Markt wird von Angebot und Nachfrage beherrscht. Obwohl es«, sagte er nachdenklich, »interessant wäre, ihn für einen Test einer Form von Planwirtschaft zu unterziehen. Mit zu erfüllenden Eitelkeitsquoten, Eitelplansoll. Nein. Eitelsoll. Und Eitelzoll. Exportförderung. Importsperren. Einen Eitelkeitskommissar bei der EG in Brüssel einrichten. Aber ich schweife ab.«
Genenger nickte;
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