Mörder und Marder
Aller Augen hingen an seinem Gesicht, der gerunzelten Stirn, den Geheimratsecken im krausen Schopf, der geraden Nase, dem dank der Zigarre wulstigen Mund mit Falten des Schelmentums in den Winkeln, dem von Hamsterbacken und dickem Hals beschwichtigten Cäsarenkinn. Aber seine grauen Augen suchten die einzigen, die nicht an ihm hingen.
Mitten im Zimmer, fast unscheinbar in Ledermokassins, Jeans und weitem Norweger-Pullover, fand Jorinde Seyß Statt. Ihre Arme hingen an den Seiten herab, die Hände waren entspannt. Im Zimmer brannte keine Lampe; Matzbachs Rumpf wehrte dem Flackerschein aus dem Kamin; draußen bezog sich der Himmel mit Wolken, die die Sonne verbargen, und das verhüllte Feuer des Mahagonihaars entsprach der matten Stimmung und dem matten Licht. Die grünen Augen leuchteten, verweigerten aber das Stelldichein mit Baltasars grauen. Jorinde wandte den Kopf. Links hinter ihr senkte Evita Rieseby die Augen vom Tisch zum Boden; Heinrich Genenger, unmittelbar hinter der Hexe, erwiderte ihren Blick mit einer Grimasse; rechts von ihr blähte Cassavetes/Melcher die Nasenflügel und nickte unausgesetzt – sein Kopf glich einem in die Waagerechte verirrten Pendel mit beginnendem Parkinson; weiter vorn rechts musterte Adelheid Koslowski ihre Zehen und blickte nicht auf; zwischen ihr und Jorinde versuchte Henry den Marder zu hypnotisieren; ihm gegenüber saß Susanne Steul, die bei Jorindes Blick die Beine anzog und dadurch aus dem Sitzen ein Kauern machte. Kälte troff aus den Wänden.
Der zwei Meter lange Couchtisch begann bei Baltasars Knien. Ein zweiter, den ersten verlängernder Tisch hätte Jorindes Knie berührt und dem Bild eine unerträgliche Symmetrie verliehen.
»Na denn«, sagte Matzbach. »Da sitzen Sie nun alle, mit dem Rücken zu Luft und Wand, und passen aufeinander auf. Bis auf Sie, Verehrteste.«
Jorinde lächelte ihn an; als die grünen Augen strahlten, riß draußen die Wolkendecke kurz auf, und die Märzsonne erhellte das Zimmer.
»Was erwarten Sie denn? Jetzt, wo wir genau wissen, daß es einer von uns war?« sagte Evita.
Baltasar dachte gerade an andere Dinge. Zum Beispiel an das zufällige Zusammentreffen von Wolkenaufriß und Lächeln, und er fragte sich, wie oft in der Geschichte Wundertaten und Magie einer Person Ergebnisse von Wetterzufällen gewesen sein mochten.
Genenger stieß sich von der Tischkante ab. »Ich habe dieses Affentheater satt. Beim Frühstück redet keiner von der Leiche, und jetzt drücken sich alle herum. Schuster liegt oben tot. Nicht daß es mir leid täte. Es entsetzt mich auch nicht; ich hab auf meinem Friedhof dauernd mit Leichen zu tun. Aber er liegt da oben, wir stehen hier unten oder hocken, und keiner macht den Mund auf.«
Der Ausbruch endete, wie er begonnen hatte, und bewirkte nichts.
Matzbach grinste und schwieg. Hoff warf ihm einen undeutlichen Blick zu und räusperte sich.
»Moment, Henry«, sagte Jorinde. Sie stand noch immer entspannt im Freiraum. »Ich möchte was sagen. Entweder wir warten, bis der Schnee schmilzt und einer den Weg zum Dorf schafft. Zum Telefon, um die Polizei zu alarmieren. Das kann Tage dauern. Oder wir verkürzen uns die Zeit, indem wir versuchen, die Sache aufzuklären.«
»Und«, sagte Melcher düster, »indem wir aufpassen, daß nicht einer von uns der Nächste ist. Wer sagt denn, daß Schusters Mörder – oder Mörderin, nebenbei – mit der einen Leiche aufhört?«
»›Es liegt immer ein Dolch zwischen den Rosen. Es lauert immer ein Löwe am Rande des Feuerkreises.‹ Robinson Jeffers.« Das war Susanne Steuls Beitrag. Sie schloß die Augen, lauschte dem Zitat hinterher und rutschte auf der Bank zurück, die besorgniserregend knirschte.
»Das hilft uns weiter«, sagte Adelheid Koslowski spöttisch. »Wir können also jetzt nach Dolchen und Löwen suchen.«
»Und den Rücken bedeckt halten. Wer von euch Ärschen war es denn?« Henry blickte von einem zum anderen, aber niemand meldete sich freiwillig.
»Es dauert bestimmt nicht lange«, murmelte Evita, »bis jemand anfängt durchzudrehen. Erst einer, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht die Kripo vor der Tür.« Sie versuchte nicht einmal zu lächeln.
»Niemand traut sich, wie?« sagte Jorinde fröhlich. »Na gut, dann sag ich es. Ich bin dagegen, daß wir wie die Schafe durchs Haus irren und auf Wunder warten. Ich habe zwar kein Vertrauen zu dicken Privatdetektiven, aber, was das angeht, auch nicht zur Polizei. Ich bin dafür, daß Herr Matzbach, wenn er
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