Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
aber war ein Problem nicht völlig geklärt: Hatte Bröcher im Sinn des geltenden Strafgesetzes, das einen Mord als vorsätzliche und mit Überlegung begangene Tötung eines Menschen definiert, die Tat nicht nur mit Vorsatz, sondern auch mit Überlegung begangen?
Diese Frage konnten nur die medizinischen Sachverständigen beantworten. Zwar hatte bereits der Gerichtsmediziner Dr. Plempel Novasurolvergiftung als Todesursache festgestellt. Da ihm der Fall aber sehr kompliziert erschien, drang er darauf, dass der Gerichtsärztliche Ausschuss für die Rheinprovinz ein Obergutachten anfertigte. Mit diesem Obergutachten wurden die Professoren Dr. Fühner und Dr. Müller-Hess, zwei bedeutende Autoritäten in Deutschland, beauftragt.
Unter Benutzung des Obduktionsberichts, der Krankenblätter und der Aussagen von Bröcher selbst bestätigten die Obergutachter die Feststellung des Erstgutachters: Tod durch Quecksilbervergiftung. Im Obergutachten hieß es u. a., dass nach der übergroßen Digitalisgabe durch das Präparat Digalen »nach Aussage des Angeklagten noch das Quecksilberpräparat Novasurol, und zwar erst in dem Krankenhaus, zur Verwendung kam, das gegen angebliche, durch die Sektion nicht sichergestellte Syphilis des Oberreuter gebraucht worden sein soll. Dass dem Oberreuter eine Quecksilberverbindung, und zwar durch Injektion in den Oberschenkel, beigebracht wurde, geht mit Sicherheit aus dem chemischen Nachweis in den Leichenteilen... hervor.«
Die Obergutachter stellten dann dar, warum die Injektion von 30 Kubikzentimeter, die Bröcher nach eigener Angabe verabreicht hatte, absolut tödlich war. Anhand der Krankengeschichte, des Wechsels von Besserung und Verschlechterung im Befinden des Patienten, der andern Krankheitssymptome und der Aussage Bröchers schlossen die Obergutachter, dass Oberreuter bereits zwischen 17. und 26. März mehrere geringere Gaben von Novasurol erhalten hatte, die eigentlich tödliche Menge jedoch am 27. März. Erst diese hohe Dosis habe zur akuten Quecksilbervergiftung geführt.
Mit diesem Beweis, dass Bröcher über zehn Tage hinweg immer wieder das Gift injizierte, war eine einmalige Affekthandlung völlig ausgeschlossen. Bröcher hatte wohlüberlegt den tödlichen Angriff auf Oberreuter mehrmals
wiederholt.
Das Schwurgericht verurteilte Bröcher zum Tode. In der Urteilsbegründung hieß es u. a.:
»Das Gericht ist der Auffassung, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat. In dieser Richtung liegt auch sein Verhalten zu der Tat. Er hat bei dem Tode Oberreuters gegenüber den Ärzten Dr. Graß und Dr. Frick zugestanden, dass er die Spritze beigebracht hat, und Dr. Frick ... außerdem noch zugestanden, dass er das getan habe, um die Frau von ihrem Manne zu befreien, dass er also mit Tötungsabsicht gehandelt habe. Das Gericht ist der Überzeugung, dass er die Luesbehandlung nur aus dem Grunde eingeleitet hat, um Oberreuter ungestört mit einem Quecksilberpräparat ums Leben bringen zu können.
Dass der Angeklagte planmäßig gehandelt hat, das schließt das Gericht aus seinem Verhalten, als eine Sektion ausgeführt werden sollte. Der Angeklagte war offensichtlich bei seinem Tun der Überzeugung, dass, wenn der Kranke in dem Krankenhaus stürbe, an eine Sektion nicht zu denken sei und der Verstorbene ohne Sektion beerdigt würde...«
Das Gericht bescheinigte Bröcher, dass er »gute Seiten hatte, dass er sittliche Anschauungen hatte, die zu überwinden für ihn schwer war, und dass nur der Gedanke, dass die Angeklagte zu seinen Wünschen konforme Wünsche hegte, ihn über die innerlichen Bedenken Herr werden ließ.«
Emilie Oberreuter erhielt wegen erwiesener Begünstigung eine fünfjährige Gefängnisstrafe.
Wenn der Sachverständige der Verteidigung gesagt hatte, kriminalpsychologisch sei ihm rätselhaft, welches Motiv Bröcher für den Mord gehabt habe, so scheint diese Frage durchaus berechtigt. So ungetrübt, dass Bröcher aus reiner Liebe zu Emilie für sie mordete, war ihrer beider Beziehung nun doch nicht gewesen. Emilie galt als unberechenbare Hysterikerin. Sie machte Bröcher vor andern Leuten hässliche Szenen. Sie drohte ihm, sie erpresste ihn: Wenn er sie verließe, werde sie ihn öffentlich bloßstellen, sein Ansehen ruinieren. Sie hatte bereits während ihres Verhältnisses mit Bröcher die Beziehung zu einem andern Mann aufgenommen, und Bröcher hatte einige Zeit vor der Tat, wohl unter dem Druck der unerquicklichen Situation, versucht, sich von Emilie zu
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