Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
Prof. Dr. K. Herold jedenfalls nannte den Einfall des Dr. Veith, wie er den schon einmal gescheiterten Mordanschlag auf seine Frau doch noch erfolgreich wiederholte, eine geradezu schöpferische Idee. Der Fall ereignete sich Mitte der 60er Jahre in einer nördlichen Stadt der DDR. Prof. Herold, der als Gerichtsmediziner entscheidend an der Überführung des Täters beteiligt war, hatte mir den Fall seinerzeit berichtet. Über die Person des Täters wusste er wenig, über seine kriminalistische Intelligenz umso mehr zu sagen. Sie beschäftigte Kriminalisten und Gerichtsmediziner mehr als ein ganzes Jahr, bis es ihnen gelang, Dr. Veith den Mord nachzuweisen.
Der Fall Dr. Veith war mehr als nur ein vulgäres Mordgeschehen. Er war auch die Katastrophe eines Mannes, der ein angesehener und im gesellschaftlichen Leben engagierter Arzt war, in seiner öffentlichen Haltung dem humanistischen Ideal seines Berufes verpflichtet, innerlich aber verödet, nur seinem Trieb unterworfen, Richter und Scharfrichter zugleich gegenüber einem Menschen, der seinem vermeintlichen Glück im Wege stand.
Aber es war gerade dieser Widerspruch zwischen öffentlicher Rolle und innerem Wesen, der dieses Tal auslöste. Er fürchtete, wenn er rücksichtslos die Wünsche seines Ichs verwirklichte, seine Rolle als Arzt zu beschädigen. Um jenes zu erhalten und dieses zu verhindern, glaubte er, morden zu müssen.
Dabei aber war auch im Fall Dr. Veith im nachhinein schwer zu erklären, warum die Ehe mit seiner Frau Gisela allmählich zerbrochen war. Auch seine Ehe litt unter der Belastung seines Berufes. Er merkte es nicht oder wollte es nicht bemerken, er hatte ja sein erfülltes Leben als Arzt. Seine Frau flüchtete aus ihrem Frust in Tabletten und Alkohol, und er versorgte sie nur zu willig mit starken Schlafmitteln, um sie ruhig zu halten.
Der Persönlichkeitszerfall der Frau blieb nicht unbemerkt in der Öffentlichkeit. Sie musste zweimal zur Entziehungskur. Er empfand Scham darüber, sein Ekel wuchs vor der durch Alkohol gedunsenen Frau, die ständig über ihre Kreislaufbeschwerden und ihre Krampfaderschmerzen klagte. Er versuchte, sich von ihr zu trennen. Sie widersetzte sich einer Scheidung, wohl aus dem Gefühl heraus, dann ihre letzte, wenn auch äußerliche Geborgenheit zu verlieren. Er war nicht bereit, sich ein wenig zurückzunehmen in seiner Arbeit, denn die Arbeit war für ihn nun auch zu einer Flucht aus einem unfrohen Zuhause geworden.
Er lernte eine junge Frau kennen, die medizinischtechnische Assistentin Steffi, die für ihn und seine Probleme mehr Verständnis zeigte als seine verbitterte Frau. Sexuelle Erfüllung in Steffis Bett festigte die Beziehung. Eine Ehe mit ihr erschien ihm wie eine Oase nach langem Marsch durch die Wüste.
Für seine Geliebte hatte der Doktor nun plötzlich viel Zeit.
Gisela war trotz zeitweiliger geistiger Absenzen eine kluge und wache Frau. Sie merkte an den üblichen untrüglichen Anzeichen, was jetzt vor sich ging. Und forderte ihren Mann auf, die Affäre mit Steffi zu beenden. Aber für den Doktor war es keine Affäre, sondern Liebe. Gisela wollte das nicht wahrhaben. Noch immer glaubte sie, was zerbrochen war, wieder kitten zu können.
Dazu wählte sie das untauglichste Mittel: Sie drohte ihrem Mann. Sie drohte, sich umzubringen, wenn er nicht von der andern lasse. Und da der Doktor und seine Frau längst nur noch sprachlos miteinander lebten, sondern sich außer bei der allernotwendigsten Kommunikation schriftlich verständigten, fand der Doktor zuweilen Briefe seiner Frau auf dem Tisch, in denen sie ihre Selbstmordabsichten verkündete, beispielsweise von dieser Art:
»Höre zu. Ich gebe Dir noch eine Woche Frist. Entweder Du trennst Dich von dieser Frau oder ich mache Schluss. Für immer. Ich weiß es jetzt endgültig, Du liebst mich nicht mehr. So bleibt mir nur noch eines: mich von Dir zu scheiden, indem ich aus dem Leben scheide.«
Allmählich begann das den Doktor, der sich in seinem Glücks- und Überlegenheitsgefühl bisher darüber belustigt hatte, zu ärgern, wenn nicht sogar zu beunruhigen. Wenn Gisela nun, von Tabletten und Alkohol in einen Zustand unberechenbarer Entschlossenheit versetzt, ihre Drohung wahr macht und sich tatsächlich umbringt? Und diese zynische Begründung hinterlässt, ihr Selbstmord sei ihr letzter Liebesbeweis? Sie weiß genau, sagte er sich, ihr Selbstmord würde mich gesellschaftlich vernichten. Selbstmord, würde es heißen, weil der Mann fremd geht!
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