Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
einer solchen Operation Angst hatte.
Sie wolle aber nicht unters Messer, erwiderte sie störrisch. Es müsse doch ein Mittel geben, um wenigstens die Schmerzen
zu lindern.
Dr. Veith triumphierte. Es lief alles nach Plan. Natürlich, stimmte er zu, ließen sich die Beschwerden mildern. Er wolle sich ihre Beine mal ansehen.
Es kostete ihn einige Überwindung, ihre von bläulichen Adernstricken durchsetzten Beine zu betrachten. Er dachte an Steffis grazile Schenkel. Die Krampfadern seien ja entzündet, sagte er, kein Wunder, dass sie schmerzten. Ein Schmerzmittel allerdings sei da wenig hilfreich. Das Übel müsse an der Wurzel gepackt, die Entzündung selbst bekämpft werden. Er schlage einen kräftigen Penizillinstoß vor.
Gisela war einverstanden - wenn sich nur eine Operation vermeiden ließe.
Gut, erwiderte der Doktor, dann wolle er gleich heute Abend mit der Behandlung beginnen.
Nun war es also soweit. Er hatte alles durchdacht und vorbereitet. Beruhigt sah er der entscheidenden Stunde entgegen.
Er blieb auch ruhig, als es geschah.
Gisela saß am Couchtisch, als er mit den Penizillinröhrchen erschien, die in Wirklichkeit Kalypnon enthielten. Demonstrativ legte er sie samt einem Mörser auf den Tisch und sagte, er wolle nur noch ein Glas Wasser holen. Wie erwartet, griff Gisela nach einem der Röhrchen und las den Aufkleber für Oral-Penizillin. Sie würde keinerlei Misstrauen zeigen, dessen war er gewiss.
Er kehrte mit einem Glas Wasser zurück, setzte sich neben Gisela, schüttete eine Anzahl Tabletten aus, täuschte vor, er würde sie genau zählen - es waren insgesamt viereinhalb Gramm - zerdrückte sie im Mörser und warf das körnige Pulver ins Glas. Er verrührte die Masse, die sich nur schwer im Wasser auflöste, und reichte Gisela dann das Glas. Es werde sehr bitter schmecken, warnte er.
Gisela nahm einen Schluck, verzog das Gesicht, dann leerte sie das Glas tapfer in einem Zug. Danach empfand sie Brechreiz. Der Doktor geleitete sie vorsorglich ins Bett. Wenn sie liege, lasse die Übelkeit wieder nach.
Bald darauf erbrach sie trotzdem. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hoffte nur, dass ein Teil der tödlichen Menge bereits in den Kreislauf gelangt war.
Dann schlief sie ein. Unmerklich, dachte er - in einen sanften Tod. Darauf war er besonders stolz. Er hasste sie. Trotzdem sollte sie nicht qualvoll sterben.
Aber Gisela machte keine Anstalten zu sterben. Auch jetzt noch, an der Schwelle des Todes, verhöhnte sie ihn. Sie lag im Tiefschlaf. Wenn ihr schnarchender Atem einmal abbrach, ging er voll Hoffnung zu ihr, fühlte den Puls und musste feststellen, dass das Herz noch immer gleichmäßig arbeitete.
Sie schlief die Nacht hindurch und den nächsten Tag, ohne aufzuwachen. Am Abend erhob sie sich lallend und taumelte zur Toilette. Er musste sie stützen, damit sie nicht hinfiel und sich verletzte. Nur keine Wunden jetzt, kein Blut. Er brachte sie ins Bett zurück. Sie fiel sofort wieder in Schlaf.
Auch am nächsten Tag schlief sie weiter und am dritten. Sie schnarchte, und der Puls war noch immer spürbar.
Veiths Hoffnung sank auf Null.
Am vierten Tag schlug Gisela die Augen auf und sagte, sie sei so müde, und schlief wieder ein.
Gegen Abend wälzte sie sich aus dem Bett, setzte sich schwerfällig auf den Bettrand und fragte, was denn geschehen sei.
Veith wusste in diesem Augenblick, sein Plan war gescheitert. Warum, wusste er nicht. Er musste rasch eine Antwort finden, die Gisela befriedigte und nicht misstrauisch machte. Er dachte krampfhaft nach. Ob sie denn, fragte er dann streng, vor der Einnahme des Penizillins wieder etwas getrunken habe.
Kleinlaut gestand sie zwei doppelte Kognaks. Aha, sagte er hocherfreut, dann habe man ja die Erklärung: Alkohol paralysiere partiell die Effizienz des Penizillins, wie es andrerseits bestimmte Nebenwirkungen potenziere. Daher der viertägige Schlaf. Ihr schlechtes Gewissen hinderte Gisela daran, über diese unsinnige Erklärung nachzudenken. Niedergeschlagen sagte sie, es tue ihr leid, dass die Kur anscheinend fehlgeschlagen sei.
Veith hörte schon gar nicht mehr hin. Maßlose Wut erfüllte ihn, auf Gisela, die unbegreiflicherweise dem Gift widerstanden hatte, aber noch mehr Wut auf sich selbst, weil sein Plan nicht auf mögliche Pannen durchdacht worden war. Wie ein Dilettant hatte er sich verhalten! Doch er konnte nicht lange seine Selbstvorwürfe ertragen. Er beschloss, das Fiasko einfach als missglückte Generalprobe zu betrachten. Die
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