Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
ausgereicht hätte, um ein so verheerendes Feuer zu entfachen. Es musste eine erheblich größere Menge in den Wagen und auf den Körper der Frau ausgeschüttet worden sein.
Das gerichtsmedizinische Gutachten war das Ergebnis einer komplizierten Untersuchung. Der Brand hatte die Leiche stark zerstört. Das Herz war noch überraschend gut erhalten. Der gerichtsmedizinische Sachverständige, Prof. Dr. Wagner, konnte am Herzen keine äußere Verletzung feststellen, was zumindest eine Stich- oder Schussverletzung ausschloss. Organische Schäden, die einen plötzlichen Herztod verursacht haben könnten, ließen sich nicht finden. In den noch erhaltenen tieferen Luftwegen und in den Lungenbläschen hatte Wagner keine Rußpartikel entdecken können. Frau Wagner hatte bei Ausbruch des Feuers nicht mehr geatmet, war also schon tot gewesen.
Besonders belastete es den Angeklagten, dass Prof. Wagner in Nieren und Lungen Anzeichen für eine Fettembolie gefunden hatte.
Eine Fettembolie kann entstehen, wenn äußere Gewalt Knochenbrüche oder Weichteilquetschungen verursacht. Solange der Kreislauf noch in Tätigkeit ist, transportiert das Blut Fetttröpfchen aus den verletzten Organen in die Haargefäße der Lunge. Diese werden durch das Fett verstopft, was bei massiver Embolie zum Tode führen kann. Die Anzeichen einer Fettembolie bewiesen also, dass Frau Müller vor ihrer Verbrennung eine schwere äußerliche Verletzung erlitten hatte.
Dr. Müller beharrte aber darauf, seine Frau habe auf dem Beifahrersitz gesessen, als er aus dem Wagen stieg. Deshalb musste auch diese Behauptung gerichtsmedizinisch überprüft werden. Wenn eine Leiche verbrennt, kann es dabei zu Eigenbewegungen kommen. Sie entstehen, weil die Muskeln nicht zu gleicher Zeit schrumpfen. Gerichtsarzt Dr. Petersohn äußerte sich zur Frage, ob durch solche Eigenbewegungen der Leichnam vom rechten auf den linken Sitz gelangt sein konnte. Er hielt das für absolut unmöglich.
In diesem Stadium des Prozesses war also bereits bewiesen: Frau Müller war getötet, dann mit Benzin übergossen und verbrannt worden.
Es gelang dem Gericht nicht, Müllers Motiv für diese Tat zu ergründen. Müller bestritt, er habe Tilly heiraten wollen. Und Tilly selbst, die als Zeugin geladen worden war, sagte aus, Müller habe ihr nie die Heirat versprochen, und sie habe auch nie damit gerechnet. Das hätte sie natürlich behaupten können, um Müller zu entlasten. Aber auch alle andern Zeugenaussagen bestätigten, dass Frau Müller ihrem Mann immer wieder seine Seitensprünge verziehen hatte. Sie wusste auch von seiner Beziehung zu Tilly und hatte nie ernstlich etwas dagegen unternommen. Es war auch niemals von Scheidung die Rede gewesen, gegen die sich Frau Müller gesträubt haben könnte. Es gab, so plädierte Müllers Verteidiger, keinen plausiblen Grund für Müller, seine Frau vorsätzlich zu töten.
Noch während der Verhandlungen unternahm der Angeklagte einen Selbstmordversuch. Mit einer Rasierklinge schnitt er sich die rechte Speichenschlagader auf. Im Krankenhaus erhielt er eine Bluttransfusion. Die Verteidigung forderte ein psychiatrisches Gutachten. Der Prozess wurde
vertagt.
Während Dr. Müller in einer psychiatrischen Klinik untersucht wurde, wurde der zweite Prozess beim Landgericht in Saarbrücken vorbereitet. Das Gericht bestellte weitere Gutachter, darunter als psychiatrischen Sachverständigen Prof. v. Baeyer und zwei Gerichtsmediziner, Professor Randerath und Prof. Mueller, den Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Heidelberg.
Die neu hinzugezogenen Professoren Mueller und Randerath übernahmen vom Erstgutachter Prof. Wagner die Leichenorgane. Sie kamen teils zu gleichen, teils zu andern Ergebnissen. Bei der gemeinsamen Beratung der drei Gutachter näherten sich ihre Standpunkte einander weitgehend an.
Am 16. Juni 1956 begann der zweite Prozess gegen Dr. Müller. Er erbrachte anfangs nichts Neues. Müller beteuerte seine Unschuld und wiederholte seine frühere Darstellung der Vorgänge. Bei verfänglichen Einzelheiten konnte er sich nicht mehr erinnern.
Ein Zeuge belastete Dr. Müller besonders. Er wies nach, dass Müller die Straße verlassen und auf einen Waldweg eingebogen war.
Hier musste geschehen sein, was niemand jemals erfahren wird. Hier musste Müller seine Frau handlungsunfähig und bewusstlos gemacht haben. Dann fuhr er mit dem Wagen auf die Straße zurück, hielt neben einem Baum, übergoss seine Frau mit Benzin und
Weitere Kostenlose Bücher