Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
der Schädel war ausgeglüht und auseinandergebrochen. Links von der Leiche, auf dem äußeren Rand des Fahrersitzes, stand ein Katalytkanister, die Öffnung auf die Leiche gerichtet. Ein zweiter Kanister stand in der Mitte hinter den Vordersitzen. Beide Kanister waren ausgebrannt und an einigen Stellen geschmolzen. Auf dem hinteren Kanister lagen Teile des Schädels. Der Katalytofen befand sich vor dem Fahrersitz.
Der Wagen selbst war ungleichmäßig ausgebrannt. Der hintere Teil zeigte geringere Brandspuren. Die Vorderreifen waren verbrannt und geplatzt, die hinteren unzerstört. Auch den Kofferraum hatte das Feuer nicht erreicht. Der Benzintank, der sich hinten befand, war noch fast voll.
Links neben dem Wagen fand man Frau Müllers Schmuckring, die Radkappe etwa 25 Meter in rückwärtiger Richtung. Die Apothekerflasche lag im Gebüsch, der Glasstöpsel jedoch von der Flasche entfernt. Bedeutungsvoll war die Tatsache, dass der Wagen bei Ausbruch des Brandes, also bevor er von Müller und Martin etwas vorwärtsgeschoben worden war, ganz dicht an einem Straßenbaum gestanden hatte. Der Baum verhinderte, dass die Beifahrertür geöffnet werden konnte.
Bei seiner ersten Befragung erzählte Müller den Kriminalisten, was er bereits dem Musiklehrer und andern am Unglücksort berichtet hatte. Als die Beamten fragten, warum seine Frau zum Suchen des Ringes Streichhölzer entzündet haben sollte, statt die Innenbeleuchtung einzuschalten, gab Müller eine völlig absurde Erklärung: Er habe die Innenbeleuchtung vor längerer Zeit außer Betrieb gesetzt, weil sie ihn beim Rückwärts-Einfahren in die Garage gestört hätte.
Am Morgen des 19. Februar wurde Müller aus dem Krankenhaus entlassen. Seinen drei Söhnen schilderte er das Unglück auf die gleiche Weise. Dann rief er einen befreundeten Förster an und bat ihn dringend, zu ihm zu kommen. Als der Förster bei ihm erschien, erzählte Müller, was geschehen war, gab ihm fünfzig Mark und bat ihn, Müllers Freundin in England anzurufen. Sie solle alle Briefe vernichten, die sie von ihm besaß.
Der Förster rief Tilly an, berichtete und übermittelte Müllers Wunsch. Tilly weinte, sie konnte nicht verstehen, was die Vernichtung der Fotos und Briefe mit Frau Müllers Tod zu tun hätten.
Am nächsten Tag untersuchte Gerichtsarzt Dr. Petersohn Dr. Müller. Er stellte nur geringe Brandwunden an der rechten Hand fest und bezweifelte deshalb, dass Müller ernsthaft versucht haben sollte, seine Frau zu retten.
Die Kriminalpolizei führte Dr. Müller dem Vernehmungsrichter vor. Dieser vernahm ihn und verfügte danach die Verhaftung. Er hatte hinreichenden Verdacht, dass Müller seine Frau vorsätzlich getötet hatte.
Weitere kriminalistische Ermittlungen liefen an. Sie konzentrierten sich auf die Person Müllers, seine Ehe und auf die Ereignisse, die der Tat unmittelbar vorausgegangen waren.
Der 45jährige Dr. Müller wurde von seinen Patienten geschätzt. Er hatte in Heidelberg Zahnmedizin studiert, 1932 promoviert und eine Praxis eröffnet. Seine Frau war zwei Jahre jünger. Müller hatte ein sehr hohes Einkommen. Manchmal ging er auf die Jagd. 1939 verursachte er schuldlos einen tödlichen Verkehrsunfall. Politisch hatte sich Müller weder in der Nazizeit noch danach engagiert.
Müllers einundzwanzigjährige Ehe galt für Außenstehende als harmonisch. Die Eheleute hatten drei Söhne, die noch im Elternhaus lebten. Nur wenige wussten, dass Müllers Ehe in Wirklichkeit zerrüttet war. Gleich nach seiner Heirat hatte der Zahnarzt mit andern Frauen intime Beziehungen aufgenommen, auch mit der wesentlich jüngeren Schwester seiner Frau. 1947 hatte Müller die 20jährige Tilly als Sprechstundenhilfe eingestellt. Beide verliebten sich ineinander. Das Liebesverhältnis hielt bis 1953 an, als Tilly nach England ging. Auch danach blieben sie miteinander in Verbindung.
Ein Gutachter stellte später fest, Müllers Beziehung zu Tilly sei mehr gewesen als nur ein sexuelles Abenteuer. Er habe sie wirklich geliebt. Der labile Mann sei der charakterlich gefestigten Frau nicht nur sexuell, sondern auch seelisch hörig gewesen.
Frau Müller hatte mehrmals von der Untreue ihres Mannes erfahren, ihm aber immer wieder verziehen. Trotzdem war es in letzter Zeit zu stärkeren Spannungen zwischen beiden gekommen. Einmal hatte Frau Müller ihren Mann verlassen, war aber auf sein Drängen zurückgekehrt. Ihr Herz- und Kreislaufleiden hatte sich verschlimmert, im letzten Jahr vor ihrem Tode
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